Willkommen zur x-Minuten Kritik zum Film „Furiosa: A Mad Max Saga“. Viel Spaß!
Intro:
George Miller hat laut vielen Fans und Kritikern 2015 mit „Mad Max: Fury Road“ einen der besten Actionfilme aller Zeiten gemacht. An diesen wollte er direkt im Nachgang ein Prequel anhängen, in dem es um die Deuteragonistin Furiosa geht. Durch einen Rechtsstreit über die Bezahlung kam es zu erheblichen Verspätungen und sogar so weit, dass Furiosa aufgrund des Altersunterschiedes nicht mehr von Charlize Theron gespielt werden konnte. Daher übernahm Anya Taylor-Joy (The VVitch, The Menu, The Northman, Last Night in Soho) die Rolle der erwachsenen Furiosa.
Wer Miller nur durch „Mad Max: Fury Road“ kennt, wird von „Furiosa: A Mad Max Saga“ vermutlich überrascht sein. Wer weiß, dass er auch Filme wie „Ein Schweinchen namens Babe“, „Happy Feet“ und „Three Thousand Years of Longing“ gemacht hat, der ist gut gewappnet.
Handlung, Charaktere und Drehbuch:
Schon nach den ersten fünf bis zehn Minuten merkt man, dass „Furiosa: A Mad Max Saga“ an den Prequel-Symptomen leidet und es dem Patienten keine guten Startbedingungen beschert. Während man das üppige Paradies sieht, in dem die junge Furiosa und ihr Volk leben, klopft bereits das Film-Ich aus 2015 gedanklich an und erinnert einen daran, dass dieses Paradies am Ende von „Fury Road“ ebenfalls nur noch Wüste war. Die Spannung, die sich also am Anfang des Filmes durch die Entführung von Furiosa und der Aufopferung der Mutter aufbauen soll, wird für den Großteil der Zuschauer daher nicht aufgebaut.
Ein weiteres Prequel-Symptom ist der Moment, bei dem man merkt, dass eine Geschichte gerade einen schönen organischen Rhythmus bzw. Flow hat und dann aber plötzlich eine Kehrtwende machen muss, weil ja das Ende bereits feststeht. Typisch hierfür ist, dass Charaktere aus dem Nichts unlogische und völlig untypische Dinge machen, komplett zusammenhangslose Weltereignisse relevant werden oder auch dass etwas absolut Unplausibles ohne Erklärung passiert. Dieses Symptom nenne ich gerne „die unsichtbare Hand“, und man erkennt sie meistens daran, dass die logische Schlussfolgerung einer „Warum“-Frage mit „weil Baum“ beantwortet werden kann. Ich finde, dass in „Furiosa: A Mad Max Saga“ zwar die „unsichtbare Hand“ nicht zu viel mitmischt, sie sorgt aber dafür, dass der Film in ein Problem gerät, mit dem Superheldenfilme sehr oft kämpfen: zwei Antagonisten. Während es Filme gibt, die diesen Spagat mit Bravour meistern, wie z.B. „The Dark Knight“, gibt es genügend Beispiele, in denen der Spagat zur Hodenquetschung oder zum Muskelfaserriss führt, wie z.B. „Spiderman 3“.
„Furiosa: A Mad Max Saga“ führt den Antagonisten Dementus (Chris Hemsworth) ein, doch dieser ist nur im ersten Akt und in der zweiten Hälfte des dritten Akts wirklich präsent. Im Mittelteil der Handlung geht es um die degenerierten Kinder von Immortan Joe, dessen Familie und ihn selbst. Das ist äußerst schade, denn dadurch bekommen beide Gegner nicht genügend Spielraum bzw. stechen zu wenig heraus. Es gibt jedoch zwei Momente, bei denen Dementus extremes Potential zeigt.
Die erste Stelle ist, als er das erste Mal Immortan Joe in der Zitadelle gegenübersteht und ihm offenbart, dass er Furiosas Mutter nur getötet hat, um Furiosa härter zu machen. Auf seine eigene schräge Weise hat er sie adoptiert und wollte sie aufziehen. Deswegen schenkt er ihr auch den Teddy seines verstorbenen Kindes und entreißt ihn Furiosa wieder, als sie sich von Dementus abwendet.
Der zweite Moment ist in seinem finalen Dialog, als Furiosa ihre Mutter und ihre Kindheit von ihm zurückfordert (Bild 12). Daraufhin entgegnet er, dass sie gleich sind, weil er auch alles verlor, weswegen er einen großen Bauch voller Rache hat. Rache und Wut, die niemals befriedigt werden kann. Nicht dann, wenn sie ihn foltert und auch nicht dann, wenn sie ihn umbringt. Ob sie ihn schnell oder langsam tötet, sie wird niemals nur annähernd das bekommen, nach dem sie sich so sehr sehnt. Sie ist wie er und ihm würdig, weil sie keine Ehre hat, nicht dem Gesetz folgt und alles tut, um sich wieder lebendig zu fühlen.
Hier hat es bei mir „Klick“ gemacht und ich verstand, dass Dementus in Furiosa eine Tochter gesehen hat, mit der er das ihm persönlichste und wichtigste teilen wollte, was er kennt: Schmerz. Wäre man mehr auf diese Dynamik eingegangen und hätte mit Furiosa zusammen eine verkorkstere Bindung zu Dementus aufgebaut, dann wäre der Konflikt, ihn am Schluss zur Rechenschaft zu ziehen, ein viel interessanterer und facettenreicherer Klimax gewesen. Meiner Meinung nach kratzt man hier nur an der Oberfläche einer tollen und komplexen Charakterdynamik.

Bei Furiosa sieht das etwas anders aus, da sie ja ihre Geschichte zumindest teilweise in einem weiteren Film erzählen darf. Dennoch erhält sie in diesem Prequel genug Charaktertiefe und Entwicklung, dass man ihre relativ dialogfreie Rolle in „Fury Road“ gut ergänzt. Sie ist in die Handlung eingewoben und besteht spielend leicht den „Sexy Lamp“ und den Bechdel-Test, was sich auch dadurch zeigt, dass viele Aspekte nicht ohne den Charakter und der Charakter nicht ohne Einfluss von außen funktionieren würden. Ein Symbol, das Furiosa und ihre Entwicklung durch den ganzen Film begleitet, ist ein Pfirsichkern. Der Film beginnt mit der Frage: „Wenn die Welt um uns zerfällt, wie können wir ihre Grausamkeit ertragen?“ und ich denke, der Pfirsichkern und was er symbolisiert, ist die Antwort.
Im grünen Paradies pflücken Furiosa und ihre Freundin Valkyrie einen Pfirsich von einem Baum. Sie kommen nicht ganz an die Frucht, und Valkyrie sagt, dass sie zu weit gehen würden. Furiosa ignoriert das aber und pflückt den Pfirsich. Daraufhin wird sie entführt und wird in „Mad Max: Fury Road“ lernen, dass sie auch nie wieder zurückkann. Die Parallele zur Schöpfungsgeschichte, bei der Adam und Eva aus dem Paradies verbannt wurden und danach Tod und Schmerzen erleben, als sie von der Frucht der Erkenntnis aßen, ist doch sehr eklatant. Die entführte Furiosa wird von ihrer Mutter namens Mary (Maria) gerettet, und als sie merken, dass ihnen gemeinsam nicht die Flucht gelingen wird, gibt sie ihrer Tochter den Pfirsichkern und bittet sie, dass sie, egal wie lang es dauert und was auch immer sie tun muss, ihr versprechen muss, dass sie den Weg nach Hause findet. In diesem Moment verkörpert der Pfirsichkern das Versprechen, dass Furiosa wieder nach Hause zurückkehren wird. Doch schon nach ein paar Augenblicken widersetzt sie sich den Wünschen ihrer Mutter und kehrt zu ihr zurück, um sie zu retten. Dementus nimmt beide gefangen und foltert Mary, damit Furiosa ihn und seine Bikerhorde zum „grünen Ort“ führt. Die junge Furiosa weigert sich, woraufhin Dementus vor ihren Augen Mary tötet und sie daraufhin adoptiert, in der Hoffnung, dass sie ihn als Vater anerkennt und sie zum „grünen Ort“ bringt. Das passiert jedoch nicht, und Furiosa schweigt von nun an aus Protest und Trauer. Ohne ihren Namen zu erfahren, nennt Dementus sie einfach „Little D[ementus]“ und fühlt sich völlig im Recht, alles richtig gemacht zu haben. Sie wird zusammen mit dem Geschichtsmann/Wordburger in einen Käfig gesperrt und mit Dementus Bikerhorde durch die Wüste gezogen. Der Geschichtsmann/Wordburger lehrt Furiosa viele Dinge, unter anderem wie man sich anhand von Sternen orientiert. Sie tätowiert sich deshalb eine Sternenkarte zum grünen Ort auf den linken Arm, die das Versprechen der Rückkehr verstärkt.
Die Bikerhorde erreicht die Zitadelle von Immortan Joe, und nach einem Deal bekommt Dementus Gastown (in dem das Öl bzw. das Benzin gewonnen und gelagert wird), und dafür bekommt Immortan Joe Furiosa. In dessen Gefangenschaft fühlt sie sich anfangs unter der Gesellschaft der anderen Frauen wohl, doch als der furchterregende Rictus Erectus sie sexuell misshandeln möchte, nimmt sie sich vor zu fliehen. Während sie sich die Haare abschneidet, um eine Perücke daraus zu fertigen, nimmt sie den Pfirsichkern aus den Haaren und klemmt ihn sich zwischen Zähne und Backe. In der „Mad Max“-Welt ist der Mund ein religiöses Organ. Die Warboys sprühen sich die Chromfarbe an die Zähne, bevor sie nach Valhalla einkehren, und die Vuvalini (das Volk von Furiosa) ehren wahrscheinlich heilige Samen dadurch. Ich habe mir nach „Furiosa: A Mad Max Saga“ Ausschnitte aus „Fury Road“ angesehen, und mir ist aufgefallen, dass in einer Szene erzählt wird, dass Splendid (die Schwangere der fünf Frauen) Munition als „Anti-Samen“ bezeichnet, weil sie den Tod bringt, „wenn man sie pflanzt“. Samen symbolisieren in der Welt von Mad Max Leben und Hoffnung, weshalb Furiosa den Kern und ihr Versprechen in sich schützt und trägt.
Sie schafft es zu fliehen, wird zum Warboy, wie sie es geplant hat, und arbeitet sich in den Rängen hoch. Nach mehreren Jahren in den Diensten von Immortan Joe fühlt sie sich bereit und will den gepanzerten Laster übernehmen, um endlich zum grünen Ort zu fliehen. Der Fahrer Pretorian Jack verhindert die Übernahme, erkennt aber das Potenzial in Furiosa und bietet an, ihr zu helfen, wenn sie ihm hilft, eine neue Crew zusammenzustellen. Doch am Tag, an dem sie planen, zusammen zu entkommen, geraten sie in einen Hinterhalt der Bikerhorde, die beide gefangen nehmen. Furiosa wurde am linken Arm verletzt, weshalb Dementus sie zur Folter an diesem aufhängen lässt. Pretorian Jack kettet er an ein Auto und befiehlt seinen Männern, die Hunde auf ihn loszulassen und ihn stundenlang durch den Wüstensand zu ziehen. Furiosa trennt sich den linken Arm ab und opfert ihre Karte zum grünen Ort, damit sie fliehen kann. In der Zitadelle angekommen, wird sie gepflegt und berichtet Immortan Joe, was geschehen ist, woraufhin ein Krieg ausbricht, den Dementus verliert. Furiosa baut sich einen mechanischen Arm und schneidet sich erneut die Haare, während sie den Pfirsichkern im Mund schützt. Dieses Mal steht der Samen aber nicht mehr für das Versprechen, nach Hause zu kommen, sondern für die Rache und die Hoffnung auf Erlösung.

Als sie Dementus einfängt und stellt, kommt es zum oben beschriebenen Dialog zwischen ihm und ihr, in dem er erklärt, dass nichts ihr diese Wut nehmen wird, egal was sie tut. Er hält ihr den Spiegel vor, und Furiosa scheint zu verstehen, dass sie ihre Wut in etwas anderes umlenken muss. Sie nimmt Dementus mit auf das Dach der Zitadelle und pflanzt den Pfirsichkern in ihn, sodass ein neuer Baum aus ihm wächst. Dieses Bild war nicht nur etwas grotesk, sondern bringt den kompletten Film in einer Einstellung zu einem grandiosen Ende, das beide Hauptthemen des Films abschließt und sogar in „Fury Road“ übergeht. Die Hoffnung und das Leben wachsen nun aus Dementus, der den ganzen Film über die Hoffnungslosigkeit und den „Untoten“ verkörperte, und auch das Versprechen von Furiosas Mutter wird in dieser Szene erfüllt, denn am Ende von „Fury Road“ befreit Furiosa die Zitadelle von Immortan Joe und seiner Herrschaft und macht sich diese zur neuen Heimat, wo nun der Pfirsichbaum steht.

Diese Schlusseinstellung hat mich auch davon überzeugt, dass „Furiosa: A Mad Max Saga“ der erste Film hätte sein können, in dem ein Pfirsichkern für den/die besten Nebendarsteller/in nominiert werden hätte können. Ähnlich wie der Ball Wilson bei „Cast Away“ trägt dieser Gegenstand so viel emotionale Symbolik, dass er zu seinem eigenen Charakter wird und die Welt sowie Furiosa beflügelt. Diese Tatsache allein sollte schon genug darüber aussagen, was für ein bedachtes, komplexes und gutes Drehbuch der Film hat. Leider hätte Dementus gerne mehr Momente wie seinen finalen Dialog haben können und die Geschichte hätte keinen Spagat zwischen mehreren Antagonisten gebraucht.
Cinematographie und Editing:
Auch wenn ich gerade eben die Handlung analysiert habe, möchte ich hier direkt sagen, dass, wie bei Zack Snyder (in Zusammenarbeit mit Larry Fong), George Miller ein sehr visueller Geschichtenerzähler ist und die teils mir fehlende Komplexität vielleicht alleine durch Bildsprache (wie der Teddy von Dementus verstorbener Tochter etc.) vertieft werden kann und mir einfach beim ersten Mal Schauen entgangen ist. Dasselbe gilt auch für die gesamte Cinematographie. Ich werde hier ein paar Highlights/Lowlights beleuchten, aber könnte die massive Bildgewalt niemals vollumfänglich einfangen und kritisieren. Das kann man eigentlich bei keinem Film, aber hier ist es mir besonders wichtig, darauf hinzuweisen.
„Furiosa: A Mad Max Saga“ ist zwar auch mit vielen praktischen Effekten unterwegs, aber wurde mehr mit CGI in der Post-Produktion bearbeitet. Das merkt man direkt an einer Stelle relativ am Anfang des Films, als Furiosa und ihre Mutter durch eine Schlucht mit dem Motorrad fahren. Die Belichtung der Schlucht im Hintergrund passt gar nicht zur Belichtung der Schauspieler im Vordergrund, und so erinnert die Szene eher an Spider-Man (2002), als Mary Janes Haare entgegengesetzt zur Richtung, in die sie an Spider-Man schwingt, wehen. Dennoch erreicht der Film nie so schreckliche PS2-Grafik-Momente wie „The Flash“ oder „Black Panther“, aber es reißt einen kurz aus dem Filmgeschehen.


Ebenso habe ich mich über gewisse Schnitttechniken gewundert, die oft eingesetzt werden und für einen „flüssigen“ Übergang sorgen. Diese Übergänge sind aber so kreativ und anders, dass sie kurz die Immersion brechen. Visuell sind sie beachtlich und interessant, aber warum sie so oft teilweise an merkwürdigen Stellen auch manchmal als bildüberlappende Montage verwendet wurden, habe ich nicht verstanden.

Was mir auch völlig unklar war, war, warum der Film Gewalt so verwaschen darstellt. Nahezu wie ein Anti-Tarantino oder ein „Tidelands“ wird die Gewalt sehr unspektakulär und dumpf dargestellt. Man sieht nicht die Hinrichtung von Mary, es werden ohne viel Trara Nippel abgerissen, die Bösewichte sterben wie die Fliegen, und auch beim Tod von Pretorian Jack wird nur ein meditierender Dementus gezeigt. Dann kommt der Film zum Dialog mit Dementus, und es wurde intensiver: Blut und mehrmaliges Einprügeln bis zu einem Anfall. Ich glaube, dass das kein Zufall war und der Film uns die Gefühlswelt von Dementus bzw. Furiosa zeigen wollte, in dem alles dumpf und leer ist und man sich über jede Sensation freut, weil diese einen kurz fühlen/leben lässt. Neben der Gewalt fühlen sich auch teils die Actionpassagen so seicht an. Während man in „Fury Road“ E-Gitarristen mit Flammenwerfern auf einem Monstertruck erleben durfte, explodiert in Furiosa zwar viel, aber bis auf eine große Actionszene auf dem gepanzerten Laster, bei der man weiß, dass die Protagonistin nicht sterben wird, passiert nichts Sensationelles. Auch in der Action merkt man teilweise die Verwendung von CGI, was aber außer den Hardcore-Action-Puristen niemand stören sollte. Aber machen all diese Punkte „Furiosa“ zu einem schlechten Film? Nein, denn im Gegensatz zu „Fury Road“ setzt dieses Prequel einfach auf ganz andere Schwerpunkte. Ich würde behaupten, dass die emotionale Tiefe, die visuelle Symbolik und das Worldbuilding viel besser sind als in „Fury Road“. Ein besonders schönes Beispiel, was mir dazu im Film aufgefallen ist, ist die Szene, in der Furiosa ihre Perücke verliert und diese auf einem Ast landet, der aus der Wand der Zitadelle wächst. Mit einem Zeitraffer sehen wir die Tage, Monate, Jahre vergehen und den Baum heranwachsen, der mit seinem zunehmend dichteren Blätterzweig die Perücke verschwinden lässt. Auf der emotionalen Ebene haben wir hier zunächst die Haare von Furiosa, die sie opfern musste, um zu fliehen, damit sie nicht selbst eine neue Ehefrau bzw. Milchkuh geworden wäre. Die Vuvalini scheinen eine tiefe Bindung zu ihren Haaren zu haben, wenn sie die heiligen Samen in ihnen verstauen, daher kostet die Entscheidung, sie sich abzuschneiden, wohl viel Überwindung und Entschlossenheit. Außerdem haben die kräftigen, gesunden Haare sie von allen anderen außerhalb des grünen Ortes unterschieden und bedeuten nun einen Identitätsverlust sowie das Aufgeben eines Teils ihrer Heimat. Das Hinvegetieren der Perücke und das Überwachsen könnte darstellen, wie Furiosa immer weniger die Vuvalini ist, die sie einst war, und immer mehr zum Warboy wird. Während die Pflanze die Perücke bedeckt und Furiosa erwachsen wird, bleibt die Pflanze an der Felswand der Zitadelle alleine. Es wächst keine weitere Pflanze daneben, es regnet nicht, niemand schaut nach diesem Baum und keiner findet die Perücke bzw. sucht nach ihr. Das sagt vieles über die Welt und die Herrscher der Zitadelle durch ein visuelles Detail aus.

Ähnlich verhält es sich mit der Liebe oder den Beziehungen zwischen den Charakteren. Furiosa sagt Pretorian Jack nie wirklich, was sie für ihn empfindet. Zwar lässt der Film Taten sprechen, aber es gibt auch einen visuell sehr kraftvollen Hinweis. Die Vuvalini zeigen ihre Zuneigung, indem sie ihre Stirn aneinanderhalten. Das macht Furiosas Mutter mit dem General der Vuvalini am Anfang des Films und später dann mit Furiosa, als sie sich trennen. In beiden Fällen wissen die Charaktere nicht, ob sie lebendig zurückkehren werden, weshalb dieses Ritual ein sehr inniges sein muss. Als Pretorian Jack Furiosa verarztet, zeigt sie ihm den Pfirsichkern, woraufhin er sie unterstützen will. Furiosa nimmt Jack am Nacken und drückt seine an ihre Stirn, wie ihre Mutter das bei ihr immer tat. Diese Symbolik spricht aus Furiosas Sicht, wie sehr sie Jack liebt und ihm vertraut, ohne viel Dialog zu verwenden.

Sound und Soundtrack:
Wie auch schon bei „Fury Road“ ist der Soundtrack zu diesem Film von Tom Holkenborg alias JunkieXL. Als Schüler von Hans Zimmer in der „Woooooaaoooohhhhh“-Zeit finde ich, dass Tom Holkenborg sich eine Nische in diesem Segment erobert hat. Während Zimmer weitergezogen ist und avantgardistische Stile und Musikinstrumente voranbringt, klingt bei Holkenborg vieles sehr gleich. Egal ob der Snyder Cut von Justice League, Tomb Raider, Rebel Moon oder Alita: Battle Angel – ich kann kaum musikalisch signifikante Unterschiede heraushören. Wenn man mich daher fragen würde, wie man den Soundtrack von „Furiosa: A Mad Max Saga“ beschreiben könnte, dann würde ich zurückfragen, ob man sich an die Alptraum-Sequenz bei Batman v Superman erinnert. Nehmt dieses chaotische Musikstück aus quietschenden Streichern, ballernden, schnellen Bässen und Trommeln und erweitert es auf ca. 45 Minuten. So hört sich der OST von diesem Film für mich an. Daher kann ich auch absolut keinen Lieblingstitel oder eine Lieblingsstelle auswählen. Ist das schlecht? Nein, denn im Film selbst hat der Soundtrack das herübergebracht und unterstrichen, was er soll, und auch wenn ich sehr gute Filmmusik privat nochmal höre, reißt es mich bei mehrmaligem Ansehen eher aus dem Geschehen, weil ich die Musik plötzlich mit mehr als dem Film verbinde. Daher ist es ein zweischneidiges Schwert, und jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er ein Musikstück mag, das einen eigenen Charakter entwickelt oder ob man eher der Typ für subtile, einfügende Stücke ist. Da ich hier aber keinen OST an sich bewerte, sondern das Gesamtpaket, würde ich sagen, dass die Filmmusik nicht stört, aber auch nicht hängen bleibt. Im Vergleich zu „Fury Road“ ist mir eine Sache aber besonders aufgefallen, die den Film nicht nur zu diesem hier abgehoben hat. In „Fury Road“ wird so genannte diegetische Musik verwendet, bedeutet, die Musik, die der Zuschauer hört, wird im Film selbst erzeugt und kann von den Charakteren gehört werden. Das unterstreicht auditiv die Entfernung von Immortan Joes Armee und hat die ganze Verfolgungsjagd auf der „Fury Road“ immersiver wirken lassen. Die clevere Kombination der diegetischen und extra-diegetischen Musik sticht über ein weites Spektrum von Filmen heraus, weshalb es mich wundert, dass Holkenborg und Miller hier nicht etwas ähnliches versucht haben.

Was ebenfalls wie beim Vorgänger heraussticht, sind die Motorengeräusche. Der Sound wird jeden Autoliebhaber dahinschmelzen lassen, und selbst wenn man keinen Bezug zu Motoren und Autos hat – wie ich – versteht man doch trotzdem, warum die War Boys den V8 vergöttern. Ich habe „Furiosa: A Mad Max Saga“ nicht im Kino gesehen, sondern mit meiner Heimkinoanlage genießen dürfen. Obwohl ich verschiedene dynamische Regler aktiviert habe, die die Lautstärke immer mitteln, hatte ich öfters die Situation, bei der ich bei den Dialogen lauter und bei der Action leiser machen musste. Vielleicht ändert sich das ja, wenn ich den Film nochmal auf Blu-Ray ansehe, aber so war das ein wenig störend.
Emotionen:
Wenn man weiß, dass viele Charaktere nicht in der Fortsetzung vorkommen und die Protagonistin nicht stirbt, bleibt wenig Spielraum für eine emotionale Entwicklung in einem Werk (Prequel-Symptom). Da die Geschichte mit Pretorian Jack auch nur einige Minuten andauert, ist hier ebenfalls nicht viel zu holen. Ich würde sogar fast sagen, dass auch wenn „Furiosa: A Mad Max Saga“ den Bechdel-Test besteht, ist Pretorian Jack eine „Sexy-Lamp“ bzw. einzig und allein im Film, um „gekühlschrankt (englisch: fridged)“ zu werden. Was ich damit meine, ist, dass seine einzige Daseinsberechtigung im Film darin besteht, der Antrieb für Furiosas Kehrtwende zu sein, weil er stirbt. Der Film hätte tatsächlich auch ohne ihn funktioniert. Furiosa hatte bereits Hass gegenüber Dementus, und nach dem, was er ihr antut, wäre ein genauso gutes Motiv gewesen, ihn noch mehr zu hassen, weil er immer wieder ihren Weg zum grünen Ort blockiert. Leider, wie die Oberflächlichkeit, die durch zwei Antagonisten im Film entsteht, vergeudet es das Potenzial einer Handlung bzw. eines Charakters.
Für mich ist daher im Endeffekt die einzige Quelle der Emotionen die Dynamik zwischen Furiosa und Dementus. Wie bereits erwähnt, sind viele Hintergrundinformationen, Beweggründe und tiefpsychologische Verhaltensweisen hauptsächlich visuell dargestellt, weswegen ich beim ersten Mal Schauen bis zum Finale wenig mit den Charakteren mitfühlen konnte. Als ich meine Kritik anfing zu schreiben und genauer über alles nachdenken musste, machte es aber dann rückwirkend mehr Sinn, und ich entdeckte einige versteckte Details.

Der Teddy symbolisiert z.B. die Beziehung zwischen Dementus und Furiosa. Nach dem Tod ihrer Mutter lässt Dementus einen Mann durch Motorräder vierteilen, und Furiosa schaut durch ihren Käfig zu (Bild 11). Er bietet ihr an, wegzusehen, und als sie dies nicht tut, schenkt er ihr den Teddy seiner verstorbenen Kinder als Trostspender. Diesen behält sie im Arm, bis die Hinrichtung vorbei ist, und lässt ihn dann vor Entsetzen in den Wüstensand fallen. Später im Film rettet Dementus Furiosa vor den Angriffen der War Boys in der Zitadelle, und beim Tauschgeschäft mit Immortan Joe hat sie diesen wieder im Arm. Sie entscheidet sich aber, zu Immortan Joe zu gehen, nachdem Dementus ihm offenbart, dass er ihre Mutter nur getötet hat, um sie stärker zu machen. Nach diesem Betrug entreißt Dementus ihr den Teddy wieder. Erst beim finalen Dialog durchtrennt Furiosa die Ketten an Dementus Hose und nimmt ihm den Teddy weg. Daraufhin erhebt er sich aus dem Sand und freut sich darüber, dass sie nun wie er ist. Wenn sie ihn nun hinrichtet, dann ist sie ihm würdig. Es fehlt nur noch dieser letzte Schritt, und danach bestätigt sie seine Lebensphilosophie, dass Hass der wahre Antrieb ist und nicht Hoffnung. Furiosa wird in diesem Moment klar, dass er recht hat. Wenn sie ihn jetzt tötet, ist sie nicht besser als er: eine wandelnde leere Hülle, die nur etwas verspürt durch extreme Grausamkeiten und Chaos, das immer größer und heftiger sein muss als das Ereignis vorher, um überhaupt etwas zu spüren. Sie lässt den Teddy wieder in den Sand fallen und entschließt sich für die Hoffnung (Bild 12). Visuell wird das auch mit der Kleidung von Furiosa untermalt: Während sie am Anfang des Dialogs noch Dementus blutgetränkte, weise Robe trägt (Bild 10), ist sie am Schluss des Dialogs in ihrer „normalen“ War-Boy-Ausstattung (Bild 12). Generell wird der Teddy aber im ganzen Film dafür verwendet, die Annäherung von Furiosa mit Dementus zu zeigen, denn auch wenn sie ihn hasst, war er auf eine sehr absurde Art immer für sie da und hat sie, wenn es darauf ankam, beschützt.

Dementus ist ein tragischer Charakter, der vermutlich ein liebevoller Familienvater war und durch den Verlust seiner Familie in einen Abgrund fiel, aus dem er nie wieder rauskam. Er kann sich nur durch den kurzen Kick der Sensation davon ablenken, bevor ihn der „lästige, schwarze Kummer“ (englisch: cranky black sorrow) wieder einnimmt. Furiosa verwandelt seinen Hass und seine Hoffnungslosigkeit in Hoffnung und gibt seinem Leben einen Sinn, indem er Nährboden für den neuen Pfirsichbaum in der Zitadelle wird (Bild 3). Die abgerundete Tragik erinnert von der Erzählstruktur an die großen Geschichten der alten Griechen, und mit dem Bezug auf ein so generelles psychologisches Thema der Depression/Hoffnungslosigkeit, die heutzutage sehr präsent ist, trifft der Film einen emotionalen Nerv. Wer beim ersten Mal wenig Emotionalität verspürt hat und erst beim finalen Dialog angetan war, der sollte sich selbst den Gefallen tun und „Furiosa: A Mad Max Saga“ ein weiteres Mal aufmerksam anschauen. Ebenfalls sollte jeder nach Furiosa erneut „Fury Road“ sehen, denn das Prequel gibt dem Film eine komplett neue Ebene und ich muss zugeben, dass es wehtat Furiosa (Charlize Theron) weinend in den Sand fallen zu sehen, nachdem man weiß, was der Charakter durchgemacht hat.

Zusammenfassung Besonderheiten/Auffälligkeiten:
- Bildgewaltiges Epos, das viele tieferen Themen und Hintergrundinformationen visuell und nicht mit Dialog präsentiert
- Experimentierfreudige Szenenübergänge und insgesamt gewagtere Cinematographie
- Spagat mit den zwei Antagonisten funktioniert nicht
- Leidet an den typischen Prequel-Symptomen
- Action und Soundtrack sind schwächer als in „Mad Max: Fury Road“
- Teilweise schlechtes CGI (vor allem in den Hintergründen)
- Fantastische schauspielerische Leistung vor allem von Chris Hemsworth (Dementus) und der jungen (Alyla Browne) und alten (Anya Taylor-Joy) Furiosa
Sonstiges:
- Reiht sich trotz Prequel-Symptomen in die Reihe der besten Prequels mit „X-Men – Erste Entscheidung“, „Planet der Affen: Revolution“ und „Roter Drache“ ein.
- Einer der wenigen Kontinuitätsfehler im Film ist, dass Dementus am Schluss wieder Nippel hat
- Einer der seltenen Filme, die einen Gegenstand als bester Nebendarsteller nominieren könnte
- Großes Lob an George Miller nicht Charlize Theron zu „deagen“
Bewertung:
8,5 von 10 Wortburgern
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