Willkommen zur x-Minuten Kritik zum Film „Butcher’s Crossing“. Viel Spaß!


Intro:

Auf dem Papier klingt „Butcher’s Crossing“ erstmal nach einer guten Idee: eine Adaption eines
renommierten Buches, dessen Autor sehr bildlich schreibt, ein Neo-Western, der sich in die Themen
von „Sisters Brothers“ und „Power of the Dog“ einreiht, und das alles mit Nicolas Cage. Auch wenn
dieser in letzter Zeit oft zu Marketingzwecken in Filme geholt wird, wäre hier die Frage gewesen, ob
es dem Film nicht gut getan hätte jemand anderes für die Rolle zu casten. Denn eines vorweg: die
Hauptprobleme des Films basieren auf Faktoren außerhalb des Films, die den Film maßgeblich
beeinträchtigt haben. An dieser Stelle auch eine Spoilerwarnung für euch, wenn ihr den Film
unbefangen sehen wollt, dann lest die Kritik erst danach, um mitzudiskutieren.

Handlung, Charaktere und Drehbuch:

Fred, Miller, Will udn Charley bestaunen das Tal © 2024 Sony Pictures
Bild 1: Fred, Miller, Will und Charley bestaunen das Tal © 2024 Sony Pictures

Alles beginnt mit dem Protagonisten Will Andrews (Fred Hechinger), der sein Studium in Harvard abgebrochen hat und an den kleinen Händlerposten „Butcher‘s Crossing“ reist. Dort bittet er den Fellhändler McDonald, einen Bekannten seines Vaters, um Arbeit. McDonald bietet Andrews einen Platz an, um ihm im Büro zu helfen, doch Will lehnt diesen ab, weil er etwas erleben und sich selbst finden möchte. Genervt von seiner jungen Naivität warnt der Fellhändler ihn vor der Büffeljagd, verweist ihn aber dennoch an einen Jäger namens Miller (Nicolas Cage). Im Saloon begegnet Will Miller und Charley Hoge – einem einarmigen, alkoholsüchtigen Bibelfanatiker. Der Büffeljäger erzählt ihm von einem Tal, das nur er kennt und niemand sonst. An dem besagten Ort grasen Tausende von Büffeln, aber keiner will die regulären Jagdgebiete verlassen und ihn für das Vorhaben finanzieren. Weil Will jung und naiv ist, stimmt er dem Unterfangen zu. Miller besorgt daraufhin Proviant, Ausrüstung und Männer, denen er vertraut. Will bleibt in der Bar und trifft dort Francine (Rachel Keller), die Kellnerin. Nachdem sie beide sehr angetan voneinander sind, gehen sie nach oben, und Will wird klar, dass sie eine Prostituierte ist. Wegen dieser Erkenntnis kann er nicht mehr mit ihr schlafen und lässt eine traurige Francine zurück.

Am nächsten Tag ist die geplante Jagdgruppe mit Will, Miller, Hoge und Fred Schneider – ein erfahrener Häuter- vollständig und sie brechen auf. Schon sehr früh kommen Spannungen zwischen Schneider und Miller auf. Da Schneider Miller nicht traut, will er nach Zeit bezahlt werden. Während der Häuter den sicheren Weg entlang des Flusses bestreiten möchte, führt Miller sie abseits der Wege. Das hat zur Folge, dass sie beinahe alle verdursten und nicht mal die Rocky Mountains erreichen. Will fängt an zu halluzinieren und hinterfragt seinen Sinn im Leben. Handlungstechnisch werden hier viele kleine Hintergrund Infos eingestreut und bringen auch erneut Francine auf. Während der Film bis jetzt realistisch war, schweift er nun in ein spirituelles/metaphysisches Erzählen ab. Unterbrochen durch einen Hardcut bei dem Will in einen Bach fällt, um langsam zu trinken, geht die Handlung einfach weiter. Das meine ich auch genauso, wie ich es hier gerade schreibe. Alle machen weiter, als wäre gerade nichts passiert. Es gibt keinen Streit zwischen Miller und Schneider, weil er nicht auf ihn gehört hat und sie deswegen alle fast verdurstet wären. Noch irgendeinen Zweifel oder ein Argwöhnen von Will gegenüber Miller und seinen Praktiken. Für diese Jagd hat Will sein ganzes Geld (600$, heute umgerechnet ca. 14.000$) ausgegeben. Ich verstehe, dass anfangs gesagt wurde, dass Miller nur mitmacht, wenn es seine Jagd wird, aber dennoch ist das Ausbleiben eines Streits bzw. eines Dialogs darüber, warum man nicht mit Miller streiten sollte, für mich nicht nachvollziehbar.

Nachdem alle wieder bei Kräften sind, geht es weiter und sie erreichen über den besagten Pass das Tal mit den Tausenden von Büffeln. Anfangs ist Will euphorisch und kann es kaum erwarten zu lernen, doch dann muss er sich der Realität stellen. Hunderte von majestätischen Büffeln werden in nur wenigen Tagen abgeschlachtet und gehäutet. Der Gestank von totem Tier überzieht das Tal und auch das Blut der Tiere klebt an allen Beteiligten und lässt sich nur schwer abwaschen. Die Handlung driftet erneut in eine spirituelle Ebene ab, als Miller verrät, dass sie ihr Lager auf einem – Triggerwarnung für alle Stephen-King-Leser – Indianerfriedhof aufgeschlagen haben. Will schließt daraus, dass sie nicht die Ersten sind, die die Herde Büffel jagen. Miller verkündet daraufhin, dass die Indianer zwar die Büffel für Jahrhunderte in diesem Tal gejagt haben, sich das nun ändern wird. Charley stimmt ein und erinnert daran, dass nichts permanent sei. Will merkt allmählich, dass etwas nicht zu stimmen scheint. Als Schneider anmerkt, dass sie bereits drei anstatt der geplanten zwei Wochen jagen und die Nächte kälter werden, stimmt Will ihm zu und beschließt, mit den gesammelten Fellen zurückzukehren. Miller wird wütend und wie ein Besessener will er alle Büffel im Tal töten. Er setzt sich durch und der gefürchtete Winter bricht plötzlich ein. Ein Blizzard schneit den Pass und das Tal völlig ein, weswegen sie sechs bis acht Monate bis zum Frühling ausharren müssen, um zurückzukehren. An diesem Punkt befinden wir uns schon bei der 65-Minuten-Marke eines 107-minütigen Films, was klar in den folgenden Szenen zu spüren ist. Der Winter wird vom ersten Gespräch an über die Jagd als riskantes Problem geschildert und als er dann tatsächlich einbricht, passiert wieder nicht so viel. Für die komplette Zeit von etwa. acht Monaten nimmt sich der Film hier neun Minuten und fokussiert sich dabei nur auf eine Handlung, in der Charley Schneiders Essen mit Strychnin vergiftet, weil dieser blasphemische Äußerungen gemacht hat. Am Ende des Winters zählt Schneider eins und eins zusammen und kommt dahinter, dass Charley ihn vergiftet hat. In der Zeit, in der Will und Miller das Lager verlassen, um Feuerholz zu suchen, konfrontiert Schneider Charley und schlägt den einarmigen Alten tot. Miller und Will kommen zurück ins Lager und finden den sterbenden Charley vor. Zornig über Schneiders Tat zielt Miller mit seinem Revolver auf ihn. Er erkennt jedoch, dass sie ohne Schneider niemals die Felle zurück nach Butcher‘s Crossing bringen werden, und lässt ihn vorerst am Leben. Zusammen laden sie 1600 Felle auf ihren Wagen auf und verstecken 3000 weitere, um sie bald abzuholen. Durch die 1600 Felle ist der Wagen jedoch zu überladen und beim Rückweg stürzt Schneider mit dem Wagen eine Klippe hinunter. Am Boden zerstört und ohne Felle kehren sie in ein halb-verlassenes Butcher‘s Crossing zurück. Sie fragen McDonald, was passiert ist, und dieser erklärt ihnen, dass die Leute kein Interesse mehr an Büffelhäuten haben. Über den Winter brach der Markt zusammen und die Felle sind nun wertlos. Wütend verlässt Miller das Büro, und McDonald fragt Will, ob es das alles wert war. Will entgegnet, dass er gesehen hat, was er sehen musste.  In der darauffolgenden Nacht zündet Miller McDonalds Haus an und verschwindet aus Butcher‘s Crossing. Am Schluss reitet Will allein in die Prärie.

Die Rahmenhandlung von Butcher‘s Crossing ist eine gelungene Parabel über die Gier des Menschen, was dem Film jedoch nicht zugeschrieben werden darf, da diese vom Buch stammt. Bewerte ich nur den Film, dann muss ich sagen, dass ich vor allem die zweite Hälfte sehr problematisch finde. Hier wirkt alles hektisch und unfertig. Wichtige Informationen werden nur in einem Satz erwähnt und haben dann keine Bedeutung mehr, angekündigte Konsequenzen werden minimalistisch abgefrühstückt und aufgebaute Themen spielen keine Rolle mehr. Man merkt – ähnlich wie bei Game of Thrones oder den Star Wars-Prequels -, dass ab einem gewissen Zeitpunkt bestimmte Dinge passieren müssen und die Antwort wäre überall: „Weil es so im Buch passiert und es das Skript vorgibt.“
– Warum wird Miller plötzlich besessen und will alle Büffel umbringen?
– Wieso verbünden sich Schneider und Will nicht gegen Miller?
– Warum wird niemand sauer auf Miller, als sie wegen ihm fast verdursten?

Dort, wo sich das Drehbuch nicht an die Buchvorlage hält, funktioniert das viel besser. Die größte handlungstechnische Abweichung vom Buch ist Charleys Tod. Im Roman wird er nicht von Schneider getötet, sondern verliert aufgrund der Ereignisse während der Jagd seinen Verstand. Das Schicksal im Film ist meiner Meinung nach viel passender und auch gelungen umgesetzt.
Wie im „Intro“ angesprochen, hätte der Film vielleicht auf Cage verzichten sollen, um eine bessere Version produziert haben zu können. Nach Angaben von The Hollywood Reporter beträgt Cages Gage derzeit ca. vier Millionen US Dollar. Laut dem Regisseur des Films bekam er nur 18 Tage Zeit für die Dreharbeiten (principal photography). Zum Vergleich: Durchschnittliche Filme mit einem Budget von 20-50 Millionen Dollar haben eine Drehzeit von 25-48 Tagen bzw. 5-8 Wochen. Filme, die in einer ähnlichen Zeitspanne gedreht wurden wie Butcher’s Crossing sind:

  • „Whiplash“ 19 Tage und 3,3 Millionen $ Budget
  • „Halloween“ (1978) 20 Tage und 325000$
  • „Weird“ 18 Tage und 8 Millionen$ Budget.

Bleiben wir im Cage-Universum, so dauerten die Dreharbeiten für „Massive Talent“ 30 Tage, für „Pig“ 20 Tage und für „Mandy“ 30 Tage. Nehmen wir mal an, dass der Film ein Budget von 16 Millionen Dollar hatte, dann hätte Cage ugf. ein Viertel des Budgets gekostet. Hätte man ihn durch einen aufstrebenden Star wie Fred Hechinger ersetzt, hätte man gut noch vier bis fünf Drehtage herausholen und die vielen Lücken auffüllen können.

Cinematographie und Editing:

Tatsächlich beginnt der Film mit Schwarz-Weiß Zeichnungen von Amerika des 19. Jahrhunderts, die in einem Hardcut zur Prärie wechseln. Hierbei wird der Zuschauer direkt in die offene Wildnis geworfen und kann nur mit seinen Augen der Kutsche folgen, die durch die Einstellung und den Weitwinkel so klein wirkt wie ein Gestrüpp. Wills Intention, sein Studium abzubrechen und in die Welt hinauszuziehen, basiert auf den Naturgedichten von Ralph Waldo Emerson. Viele von Emersons Gedichten behandeln den Transzendentalismus und das Konzept des „transparent eyeball“. Daher ist es nicht verwunderlich, dass „Butcher’s Crossing“ wunderschöne Naturaufnahmen und Landschaftsfahrten bietet, um die Natur in objektiver Form darzustellen. Kurz zur Erklärung: Die Philosophie hinter dem „transparent eyeball“ ist die Idee, dass man, wenn man die Natur nicht nur wahrnimmt, sondern sie „absorbiert“ und ohne Urteil sieht, dann kommt man der Erfahrung von Gott so nahe wie möglich.
Hier wird meiner Meinung nach etwas ziemlich Interessantes mit der Kameraführung und dem Schnitt gemacht. Als beim ersten Mal willkürlich zwischen Natur und der Handlung/den Charakteren hin- und hergesprungen wurde, dachte ich, dass es ein billiger Trick war, um dem Zuschauer einfach schöne Bilder, also ein Spektakel, zu bieten, um von den Problemen des Films abzulenken. Doch rückblickend, sehe ich einen Sinn dahinter, statische Naturaufnahmen wie in einer Dokumentation von Landschaften, der Sonne, wilden Tieren etc. über die Handlung zu verteilen, auch wenn sie den Filmfluss stören. Sie bestärken die Objektivität bzw. die Wahrnehmung der Natur ohne Urteil und machen den Zuschauer, ob er will oder nicht, zum „transparent eyeball“, sowohl durch die Bildsprache des Films als auch durch die Handlung, in der Will sieht, was Menschen der Natur antun bzw. was die Natur den Menschen antun kann.

Für mich persönlich hat der Film zwei visuelle Highlights:

1. Die Szenen, in denen es etwas abstrakter wird, wie bei der Halluzination durch Dehydrierung, in denen durch viele sehr prägnante Bilder in kurzer Zeit viel Hintergrundhandlung und Themen kommuniziert werden.

2. Die beachtlichen Naturaufnahmen, die teilweise für sehr kreative Matchcuts (bild-abgestimmte Übergangssequenzen) verwendet werden.

Bei den Naturaufnahmen fand ich eine Aufnahme besonders faszinierend, da sie auf den ersten Blick so aussieht, als würde sie ein mit Eiskristallen beschlagenes Fenster zeigen. Die Einstellung bewegt sich näher auf das Objekt zu und es wird klar, dass es ein schneebedeckter Wald von oben ist.
Auch die Einleitung in die Halluzinationsszene ist visuell ansprechend. Der ganze Abschnitt beginnt mit einem Matchcut/Fade-in zwischen der Kutsche und einer roten, heißen Sonne, die dann in einen Nachthimmel übergeht. Schnitt und Nahaufnahme (Close-up) auf Wills Gesicht, wie er in den Nachthimmel schaut und nachdenkt. Hardcut zu den vier, wie sie und die Pferde verzweifelt nach Wasser suchen. Nächste Einstellung im Licht der Abenddämmerung, in der sich Will verirrt und von der Truppe getrennt wird. Weitwinkeleinstellung, in der Will allein inmitten der weiten Steppe vor Durst fast vom Pferd fällt. Hardcut zu einem mit Regen beschlagenen Fenster. Schnelle Hardcuts mit vielen schnellen Bildern aus Wills Vergangenheit, gefolgt von einem Pferd, das durch strömendes Wasser trabt. Erneuter Hardcut, in dem Will in eine Furt geschmissen wird, um zu trinken. Miller hilft ihm hoch, lehrt ihn, nicht zurückzubleiben, und trägt ihn während eines Fade-outs fort. Durch den klar gesetzten Fade-In und Fade-Out wird die Sequenz visuell gestartet, beendet und abgegrenzt. Auch das Thema der Halluzinationssequenz wird durch den sehr spirituellen/transzendentalen Matchcut zur Überleitung zwischen Kutsche-Sonne-Universum sehr schön etabliert. Zusätzlich kann durch den Fade-in/Fade-out die Sequenz als Palindrom oder Spiegelszene betrachtet werden. Wenn die Auf- und Abblenden Klammern, die erzählerischen Zwischenteile „A“ und die Halluzinationsszene „B“ wären, dann ergäbe sich die spiegelnde Szenenstruktur (A, B, A). Diese Spiegelstruktur ist im ganzen Film vorhanden. So beginnt der Film z.B. mit Bildern aus der Zeit, gefolgt von einer Weitwinkel Naturaufnahme in der sich Will von rechts nach links bewegt, und endet mit einer gleichen Weitwinkel-Naturaufnahme in der Will von links nach rechts reitet, gefolgt von Bildern aus der Zeit. Auch gewisse Sequenzen werden durch Naturaufnahmen begonnen/beendet und bilden einen Szenenablauf mit (A, B, A).
Cinematographisch ist der Film durchaus gelungen und mit interessanten filmtechnischen Konzepten versehen, die sich gut mit der Handlung verweben. Meiner Meinung nach hätten die meisten Naturaufnahmen mit einer statischen Kameraperspektive gefilmt werden sollen, um die Idee des unvoreingenommenen und objektiven Beobachters darzustellen, aber das wäre bei so schönen Shots wahrscheinlich manchmal einfach zu schade gewesen.

Sound und Soundtrack:

Charley, Will und Miller diskutieren am Lagerfeuer © 2024 Sony Pictures
Bild 5: Charley, Will und Miller diskutieren am Lagerfeuer © 2024 Sony Pictures

„Butcher’s Crossing“ nutzt die Musik sowohl komplementär als auch reziprok zum Bild. Während es in bedrohlichen Situationen ansteigende Bläser und Streicher gibt, die das Geschehen untermalen, erlaubt sich der Film aber auch viel Stille. Vor allem während einiger wichtigen Dialogen wird die Hintergrundatmosphäre hauptsächlich auf Naturgeräusche wie Wind, Wolfsgeheul oder Feuerknistern beschränkt. Das macht den Soundtrack subtil, aber effizient. Bei den Stellen, an denen der Film auch die Musik in den Vordergrund rückt, fokussiert der Komponist Leo Birenberg kräftige, tiefe Trommeln und langsame, schwere Kontrabässe, was dem Ganzen etwas Uriges und Natives verleiht. Ähnlich wie die heftigen Ork-Trommeln in „Hunt“ aus der „Der Herr der Ringe“-Trilogie, wird hier eine gewisse Urangst in unseren Körpern wachgerüttelt, weshalb ich unterbewusst immer darauf eingestellt war, dass gleich etwas passieren würde.  Im Gegensatz zum Soundtrack von Howard Shore werden hier die Trommeln jedoch nicht von Bläsern, sondern teilweise von schrillen Geigen, die den Shepards-Ton spielen, kontrastiert. Diese Technik wird vor allem in Horrorfilmen oder Thrillern genutzt, um Spannung zu erzeugen, und funktioniert mit den tiefen, grummelnden Trommeln im Titel „Traveling“ sehr gut. In „Once In A Lifetime“, „Supply Run“ und „Miller’s Purpose“ wird durch im Takt gezupfte Streicher und Trommeln ein auditiver Countdown simuliert, und in „Miller Burns“ wird derselbe Effekt ausschließlich mit Trommeln erzeugt.
Im letzten Titel „Finale“ knüpft die Musik noch einmal an das Palindrom-Thema aus dem Schnitt und der Handlung an. Der erste Titel des Soundtracks, „Butcher’s Crossing“, beginnt mit einem hellen, unschuldigen Klavierstück, das dann von den dröhnenden Trommeln langsam verdrängt wird und zum letzten Mal vor „Finale“ in „Leaving Town“ zu hören ist.  „Finale“ beginnt mit dem gleichen Klavierthema wie „Butcher’s Crossing“, wird dann aber von Flöten unterstützt und verdrängt die Trommeln, bis das vorherige Klavierthema von Streichern gespielt wird und zusammen mit der Flöte das Lied und den Soundtrack beendet. Der Soundtrack reiht sich also in die konzeptionellen Ideen des Filmes ein, hat für mich persönlich aber keinen privaten Hörwert. Nur das Stück „Leaving Town“, das wie eine Mischung aus „Witcher 3“ und „Last Samurai“ klingt, konnte mich dazu begeistern, es getrennt vom Film und dieser Kritik mehrmals zu hören.

Emotionen:

Will ist am Ziel angekommen © 2024 Sony Pictures
Bild 6: Will ist am Ziel angekommen © 2024 Sony Pictures

Als ich „Butcher’s Crossing“ das erste Mal gesehen habe, fühlte ich mich wie bei einem Film der Coen Brothers, zum Beispiel „The Big Lebowski“ oder „Inside Llewyn Davis“. Ich habe mich tatsächlich im Verlauf der Handlung wie Will gefühlt. Zunächst war es eine Neugier, was die Welt/der Film zu bieten hat. Anschließend dachte ich mir, dass ein paar Fehlschläge nicht das große Ziel überschatten dürfen und schon alles gut gehen wird. Am Schluss war ich dann auch über all das, was passiert ist, genauso innerlich zerstört wie Will.

Aus diversen Zeit- und Interessensgründen habe ich den Roman nicht gelesen, aber von den Aspekten, die ich während meiner Recherche im Internet mitbekommen habe, ist genau dieses Gefühl der Leere ein Hauptanliegen des Autors des Buches gewesen. Auch Themen wie Verlust durch Gier, die Eitelkeit der Menschen und die erbarmungslose Objektivität der Natur bestärken diese Leere. Was das Ganze aber meiner Meinung nach so effektiv macht, ist die Aussicht darauf, wie es anders hätte ablaufen können. Als McDonald am Ende des Films Will und Miller erzählt, dass die Felle sie vor dem Winter noch reich gemacht hätten, realisiert der Zuschauer erst, dass weder Schneider noch Charley hätten sterben müssen und alle das bekommen hätten, was sie wollten. Natürlich wäre das nur passiert, wenn Miller nicht manisch alle Büffel abgeschlachtet und die Mannschaft vor Wintereinbruch das Tal verlassen hätte. Es ist eben ein sehr nachvollziehbarer Schmerz, der den Verlust von etwas behandelt, von dem man dachte, dass man es schon sicher hat.

Parallel zum Verlust schwingt auch immer der Drang nach Selbstfindung mit. Anfangs bekommt Will von Francine gesagt, dass er anders sei als alle Männer aus „Butcher’s Crossing“, weil er so jung und weich sei. Während Will bei McDonald zusammenbricht, als dieser ihm von dem Markteinbruch der Büffelfelle berichtet, rauscht der Film in Form eines Flashbacks an ihm vorbei, und die letzte Szene in der Bilderabfolge ist mit Francine, die Will genau das sagt. Dem Zuschauer und Will wird in diesem Moment klar, dass er nun nicht mehr jung und weich, sondern genauso rau und vom Leben geprägt ist wie alle anderen in „Butcher’s Crossing“. Während er anfangs den Beischlaf mit Francine verweigerte, weil er noch jungfräulich in mehr als nur einer Hinsicht war, ist diese unschuldige Jungfräulichkeit nun weg, und Francines Worte symbolisieren diese metaphorische Entjungferung. Doch auch wenn man all diese Erfahrungen über den Film gesammelt hat, macht ihn ja genau diese Erfahrung wertvoll. Deswegen ist Will am Ende auch nicht verbittert, sondern einfach traurig und wütend darüber, dass die Welt nicht so ist, wie er sie sich vorgestellt hat. Er akzeptiert aber, dass er das menschliche Wesen in Form des „transparent eyeball“ sehen musste. Der letzte Satz von Will beschreibt daher auch ganz gut, was der Zuschauer fühlt: „I saw what I needed to see.“

Zusammenfassung Besonderheiten/Auffälligkeiten:

  • Coming-of-Age Western, der eher an „Power of the Dog“ oder „Sisters Brothers“ erinnert
  • Philosophische Themen und Erzähltechniken in Schnitt, Soundtrack und Cinematographie eingearbeitet
  • Großartige Naturaufnahmen mit detailreichen Szenen, die den Western realistisch machen
  • Überträgt gut die Handlung und Thematik des Romans…
  • Auch wenn durch Zeitknappheit/Drehbeschränkung (18 Tage) die daraus entstehenden Probleme im Film ersichtlich sind
  • Abweichungen zum Roman sind gelungen und passend umgesetzt

Sonstiges:

  • Schöne Details wie Kühlung von Feuerwaffen oder Wunden, die durch einen ungewohnten Sattel entstehen
  • Es gibt eine Szene in der Will trinkt und man sieht, dass er zu 100000%, aus einer leeren Tasse trinkt
  • Großes Lob an die Blackfeet Indianer, dass mit echten Bisons in Reservaten gedreht werden durfte und sie bei der Produktion geholfen haben
  • Auf einer Meta-Ebene bringt „Butcher’s Crossing“ einem auch die üble Tatsache nahe, dass die amerikanische Bisonpopulation von 1860 auf 1880 von 60 Millionen auf unter 300 Exemplare zurückging

Bewertung:

7,5 von 10 Markteinbrüchen

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