„Alles ist so trocken“, sagte Evam, als er über die Wüste hinwegblickte.
„Nichts als lebloser Sand und maschinelle Produktionshallen. Sogar hinter dem Horizont lässt sich nur eine weitere Einöde vermuten. Kannst du dir vorstellen, dass das früher anders war Ada?“
Ada schmiegte sich an ihn und blickte ebenfalls in die Ferne.
„Wenn ich ehrlich bin, dann kann ich mir das nicht.“
„Umso wichtiger ist dieser Schritt für uns, Ada. Du wirst die Frau sein, die nach Generationen wieder zum Symbol der Hoffnung werden kann. Du meine Liebste Ada wirst wieder mit dem Leben verbunden sein.“
Er streichelte Ada zärtlich am Nacken.
„Was ist mit den Fabriken? Es wird mehr nötig sein als einen Beweis zu liefern, dass das Leben wieder möglich sein wird, um die Fabriken zu zerstören. Man wird uns wahrscheinlich umbringen bevor wir etwas verändern können Evam.“
„Ich habe mich umgehört. Selbst die hochrangige Garde empfindet den Akt der Produktion als ineffizient. Diese Idee zu verwirklichen, wird das Dynamit sein, der die Ketten unseres Daseins sprengen wird. “
Sein Ausdruck wurde nachdenklicher.
„Und wenn nicht, dann… dann“
„Dann haben wir das Richtige getan“, fügte Ada hinzu und küsste ihn so fest, wie sie nur konnte.
Beide weinten und gruben ihre Gesichter in die Schulter des jeweils anderen.
Eine alte Frau mit einem Buch unter dem Arm betrat das Zimmer. Beide blickten auf.
„Es ist Zeit“, sagte Evam entschlossen.
„Wir dürfen uns niemals vergessen“, mahnte ihn Ada.
Er schaute ihr ewig in die Augen und grinste, bevor er den Raum verließ.
Die alte Frau ging auf Ada zu und hielt ihre Hand.
„Seid ihr sicher, dass ihr das tun wollt?“
„Ja, Maka. Das ist der einzige Weg.“
„Nun gut, dann lasst uns damit beginnen.“
Ada und Maka gingen durch einen separaten Ausgang, der eine Wendeltreppe, die aus synthetischem Chitin bestand, hinunterführte. Bei einigen Schritten knackste das Chitin, wodurch es aufsprang und sich sofort wieder reparierte. Beim Aufspringen wurde Ada von einem Splitter im Bein getroffen, doch ihre Haut verhielt sich wie der Boden. Ada bemerkte es nicht mal, dass für wenige Momente ein Splitter in ihrem Bein steckte und nach ein paar Stufen war nichts mehr von der Wunde zu sehen.
Während sie die Treppen hinuntereilten, erreichte Evam den Sitzungsort der hochrangigen Garde. Es war ein riesiger Saal, der fast ausschließlich aus dicken gebündelten weisen Kabeln bestand. In der Mitte befand sich eine blaue Sphäre in dem der Ursprung und das Ende aller Kabel zu liegen schien. Evam setzte sich vor die Sphäre und sein Gehirn nahm Kontakt mit ihr auf.
„Passwort“, ertönte es in seinem Kopf.
Er dachte an den Tag, an dem er der Garde beitreten durfte.
„Zugriff erteilt. Willkommen Gardemitglied 258.“
„Du bist spät dran. Ist etwas passiert?“, fragte ein Kollektiv aus Stimmen.
Er versuchte an nichts zu denken, was ihn verraten könnte.
„Nein, alles wie immer. Ich hatte Probleme an die korrekte Erinnerung beim Login zu denken.“
„Also schön, dann können wir nun mit der heutigen Agenda beginnen. Evam bitte präsentiere uns deine Pläne, wie wir unsere Produktion und Expansion steigern können.“
„Dankeschön sehr geehrte Gardemitglieder. Ich habe schon Ewigkeiten auf diesen Tag gewartet. Schon seit ich denken kann möchte ich euch und auch der ganzen eingeloggten Bevölkerung etwas zeigen. Eine Vision wie wir wieder die mächtigste Macht in unserem Sonnensystem werden können. Bitte gebt dem System Zugriff und spielt das Protokoll 192610 ab.“
„Protokoll 192610 wird geladen. Rechte werden erteilt. Verbindung ist hergestellt.“
Ein brachiales Schweigen hallte in verschiedenen Gefühlsspektren durch die Sitzung
„Was soll das Gardemitglied 258?“
Alle Teilnehmer sahen Ada wie sie leicht bekleidet auf einem Bett saß.
„Zu lange haben wir unsere Nachkommen in Maschinen gezeugt. Wir haben sie optimiert, geformt und sie unser Eigen gemacht, um den größten Nutzen aus ihrer Existenz zu gewinnen. Aber wenn man alles plant und es nur noch Vorhergesehenes auf dieser Welt gibt, dann ist sie genauso ein Gefängnis wie eine Welt in der wir nichts kontrollieren können.“
Die Garde versuchte die Übertragung zu stoppen, aber das Protokoll entsagte ihnen jegliche Rechte.
„Seht her! Bitte begrüßt mit mir die Zukunft: meine Frau Ada.“
Maka las in ihrem Buch und konfigurierte eine Maschine, die an Ada angeschlossen war.
„Ein Buch? Wie ist das möglich? Informationen seit Jahrhunderten nur noch digital übermittelt“, empörte sich die hochrangige Garde.
Die Maschine injizierte Ada eine hochkonzentrierte Lösung in die linke Armvene.
„Nimm einen Schluck hiervon, aber schlucke es nicht hinunter. Behalte es im Mund solange es geht“, bat Maka.
Ada kippte sich ein ganzes Glas einer trüben Flüssigkeit in den Mund. Nach wenigen Sekunden musste sie sie ausspucken, denn sie fühlte etwas, dass sie noch nie zuvor gespürt hatte. Sie krümmte sich und schrie.
„Was geschieht mit ihr“, ertönte es immer lauter in der Sitzung.
„Sie spürt Schmerz“, entgegnete die alte Frau neben ihrer Maschine.
„Sag uns Evam, soll so unsere Zukunft aussehen? Schmerzen, Trauer, Angst vor dem Tod? Unsere Vorfahren haben Jahrtausende gebraucht, um uns das zu ersparen. Sieh doch, wie deine Frau leidet. Erlöse sie davon!“
„Nein!“, schrie Ada.
„Ich spüre die Bettwäsche, die sanft an meiner Haut entlanggleitet, das Blut, das in meinen Adern fließt und die Signale, die meinen Körper pulsieren lassen. Ich bin zwar vor einer Ewigkeit geboren aber jetzt fühle ich zum ersten Mal Leben in mir.“
Maka stellte ein metallenes Gefäß an das Bettende, woraufhin Ada aufstand, sich entkleidete und sich über dieses stellte.
„Heute feiern wir die Möglichkeit Leben zu erschaffen. Heute ehren wir das Leben. Unsere Menschlichkeit soll uns nicht mehr davon abschrecken Schmerz zu empfinden, sondern ihn willkommen zu heißen. Ihn zu ertragen und uns einzugestehen, dass er ein Teil von uns ist. Ein Teil von unserem Leben. Ein Teil von jedem.“
Blut perlte an Adas Vulva entlang und tropfte in das Gefäß.
Die Emotionen in der Sitzung explodierten. Viele weinten aus Freude, einige aus Angst und manche aus Zorn.
„Das ist unmöglich“, spotteten einige Teilnehmer.
„Es ist an der Zeit sich erneut unserer Menschlichkeit klarzuwerden und selbstständig Leben zu schaffen. Lasst uns also die Produktionsstätten niederreißen und ein neues echtes Leben führen. So stark und so tapfer wie die Frauen, die Generationen vor uns gelebt haben.“
Plötzlich brach die Verbindung ab.
„Maka, bitte nimm das Gefäß und verkünde die Botschaft überall.“
„Komm mit mir Ada. Hier werden sie dich finden.“
„Ich kann nicht. Ich werde zu meiner Menschlichke…“, Ada hielt kurz inne „meiner Weiblichkeit stehen. Es war meine Entscheidung. Wer wäre ich, wenn ich mich nun verstecken würde?“
„Ich kann euch nicht genug danken. Ihr habt den Menschen damit erneut Hoffnung gegeben. Lebt wohl, Ada.“
„Lebt wohl.“
Ada zog sich an, ging die Chitinstufen hinauf und wartete auf ihr Schicksal.

Es vergingen viele Monate bis Ada und Evam wieder vereint auf ihrem Balkon standen.
Er streichelte Adas Bauch.
„Wünscht du dir manchmal dein altes Leben zurück?“
„Nein, es ist besser so. Alles war einst so trocken, doch nun blühen neue Keime aus dem Staub unserer Generation.“
Auch sie streichelte ihren Bauch.
Die Sonne ging unter und der Fluss, den sie nun von ihrem Balkon aus sahen, verfärbte sich durch das einstrahlende Licht karminrot.

Text: Daniel Engel (ZeBlog)
Illustration: Daniel Engel (ZeBlog), Elissa Engel