Teil 1: Die Geschichte der Freiheit

Der Begriff „Freiheit“ gehört heute zur sprachlichen Alltäglichkeit und wird von vielen benutzt, ohne dessen lange philosophische und auch soziale Geschichte zu kennen. Um dieses Wort und seine Konzepte besser greifen zu können und im Stande sind darüber zu diskutieren, werden wir, wie bei fast jeder philosophischen Disziplin, erstmal im antiken Griechenland anfangen.
Während man heute Griechenland hauptsächlich mit Feta, Urlaub und Finanzkrise verbindet, waren die Philosophen der Antike uns in vielen Dingen ebenbürtig oder sogar weit überlegen. Ob man den Sektor Demokratie, Bildung oder Lifestyle anschaut, die alten Griechen hatten einen wegweisenden Ansatz in fast allem. Im Hinblick auf die Freiheit und Menschenrechte, hinkten sie jedoch etwas hinterher.
Wo wir heute Gedankenexperimente bräuchten, oder in ziemlich illegales Terrain fortschreiten müssten, um echte wissenschaftliche Erkenntnisse über so eine Situation zu erhalten, benötigte der Sklave Epiktet damals nur seinen Alltag zu schildern. Sie haben richtig gehört: Sklave, denn ironischer Weise erhalten wir unseren ersten Denkanstoß zum Thema Freiheit von einem Gefangenen, der uns zu verstehen gibt, was es für ihn bedeutete jemand anderem zu gehören.

„Siehst du […] nur das als dein an, was wirklich dein ist, das Fremde aber, wie es der Fall ist, als fremd, so wird dich niemals jemand zwingen, niemand dich hindern; du wirst niemanden schelten und dich über niemanden beklagen; nichts wirst du wider deinen Willen tun, niemand wird dir schaden, keinen Feind wirst du haben; denn es kann dir nichts widerfahren, was dir schadet.“ –Epiktet: Handbüchlein 1, S.330

Abbildung 1: Innere (blau) und äußere (grau) Freiheit

Laut Epiktet gibt es also eine innere (meine) und eine äußere (fremde) Freiheit und wenn wir zwanghaft versuchen die Äußere unser eigen zu machen, dann werden wir niemals glücklich oder eben frei sein.

Diese Überlegung klingt doch ganz einladend. Wir sind zurückhaltend, nehmen nur was uns gehört, pochen auf kein Recht, was uns nicht zusteht und haben deshalb ein erfülltes und sorgenfreies Leben. Aber so einfach ist es leider nicht. Es gibt heutzutage immer noch Gebiete, in denen die äußere Freiheit so stark ist, dass man die innere Freiheit auf die minimale Option „Existieren oder Selbstmord“ eingrenzen muss. Entscheiden wir uns in diesem Fall dafür am Leben zu bleiben und würden sonst keinerlei Freiheiten beanstanden, wären wir dennoch nicht wirklich frei. Die innere Freiheit bringt nämlich auch ihre Probleme mit sich. Ein simples Beispiel hierfür ist „Buridans Esel“.

Abbildung 2: Schematisches Konzept von Buridans Esel

Die Prämisse: Ein Esel, der von zwei Heuhaufen, von denen er gleich weit entfernt ist, muss sich entscheiden, welchen Heuhaufen er lieber essen würde. Da das Heu dieselbe Qualität, Größe, Länge etc. hat, handelt es sich um zwei absolut identische Heuhaufen. Die logische Schlussfolgerung dieses Gedankenexperiments ist, dass der Esel verhungert, da er sich nicht entscheiden kann. Auf ersten Blick scheint, dass das etwas weithergeholt und unrealistisch ist, aber betrachten wir doch mal anstatt eines Esels erstmal eine Maschine, die wählen muss. Ein PC bzw. eine Software die wir programmiert haben, sähe beide Heuhaufen als Variable A mit demselben Wert und würde wahrscheinlich eine Fehlermeldung produzieren, da keine von beiden Variablen größer usw. ist. Ein anderes Beispiel wäre eine Wahl bei dem ein Bürger weder Partei A noch Partei B ansprechend findet und deswegen nicht wählen geht.

Das Entscheidende in der eigenen Entscheidung ist also die Präferenz, die auf subjektiven Erfahrungswerten beruht. Wenn diese jedoch ausbleibt bzw. diese sich erst bilden muss oder gar nicht bilden kann, „verhungern“ wir genauso wie der Esel. Wer mit diesen Beispielen noch nicht von Buridans Konflikt überzeugt ist, der muss nur einmal unwissend versuchen einen Laptop oder ein neues Smartphone zu kaufen. In einem Sortiment aus tausenden Produkten, mit hunderten Internetseiten und zu vielen Anbietern, die alle schwören, dass ihr Produkt und der angegebene Preis der beste sei, habe ich mich zumindest schon des Öfteren entschieden, einfach gar nichts zu kaufen. Jetzt gäbe es natürlich noch die Möglichkeit sich beraten zu lassen oder willkürlich irgendeinen Laptop zu kaufen und die Sache wäre damit erledigt. Wäre das aber eine freie Entscheidung?

Laut Spinoza handelt es sich hier um die Illusion der Freiheit bzw. die Illusion des freien Willens, denn nur eine Entscheidung, die begründet und verstanden wird, kann Freiheit sein. Den Vergleich zeigt Spinoza anhand eines Steins, der sich im Wurf befindet.

 „Ein Stein empfängt durch eine äußere Ursache, die ihn stößt, ein gewisses Quantum von Bewegung, durch welches er dann, auch wenn der Anstoß der äußeren Ursache aufhört, notwendig fortfährt sich zu bewegen. […] Denken Sie nun, bitte, der Stein denke, indem er fortfährt,[…] er sei vollkommen frei und verharre nur darum in seiner Bewegung, weil er es so wolle. Und das ist jene menschliche Freiheit, auf deren Besitz alle so stolz sind und die doch nur darin besteht, dass die Menschen sich ihres Begehrens bewusst sind, aber die Ursachen, von denen sie bestimmt werden, nicht kennen.“ – Spinoza, Brief an G.H. Schuller

Laut Spinoza ist unsere Flugbahn als inerte Steine vorherbestimmt und der freie Wille ist nicht frei. Unsere Entscheidungen basieren auf einer Kette von Kausalitäten, die vor uns bereits in Gang gesetzt wurden. Das sind die Ausgangspunkte des sogenannten Determinismus. Das Gegenteil zu diesem ist der sogenannte Indeterminismus, der die Position vertritt, dass Dinge auch zufällig passieren können und keinen determinierten Grund haben müssen. Eine Entscheidung könnte also auch ohne logische Zusammenhänge gefällt werden. Was wäre denn, wenn es keinerlei äußere Einflüsse gebe und wir komplett frei wären. Um das zu beantworten, muss man ein paradoxes Konzept der Freiheit verstehen: Ohne Wahl hat man keine Freiheit und erst eine Grenze beschreibt die eigentlichen Ausmaße. Wenn ich in meinem Handeln/Denken/Sein nicht eingeschränkt bin, dann existiert kein dialektisches Konzept der Freiheit. Erst wenn man mit einer Grenze konfrontiert wird, entsteht Freiheit. Da der Mensch bzw. das Sein immer irgendwo eine Grenze erfährt – denn nichts ist unendlich – ist die Freiheit eine Grundvoraussetzung für die Existenz.

Der Philosoph Jean-Paul Sartre erklärt deshalb, dass der Mensch zur Freiheit verdammt wäre bzw. paraphrasiert aus „Das Sein und das Nichts“: „Freiheit sei damit Aufgabe des Menschen und auch gleichzeitig seine Würde“.

Zur Freiheit verdammt zu sein. Es geht also bei Buridans Esel nicht um den Aspekt der „Qual der Wahl“ sondern darum, dass, egal wie wir uns entscheiden, selbst wenn wir nicht wählen, vor eine Situation mit mehreren Ausgangsmöglichkeiten gestellt werden. Ob und wie wir wählen ist also nicht relevant, da die Wahl an sich Freiheit bedeutet. Ich bin daher als Mensch verpflichtet frei zu sein und kann meine Auswahl immer individuell bestimmen. Heutzutage ist unsere Gesellschaft und die Ansicht, was es bedeutet Mensch zu sein, aber nahezu weltweit so fortgeschritten, dass sich nur auf seine individuelle Freiheit zu berufen, nicht mehr ausreicht. Doch was tun, wenn die Freiheit des anderen mich einschränkt meine Freiheit auszuüben? Wer bestimmt, welche Freiheit richtig ist? Im Mittelalter gab es willkürliche Verfahren, die die Richtigkeit beschlossen: die sogenannten Gottesurteile. Sie kennen vielleicht den Film „Ritter der Kokosnuss“ in dem der Prozess, ob jemand eine Hexe ist, einer simplen Logik entspricht, die wie folgt lautet: Hexen brennen, also müssen Hexen aus Holz sein. Holz schwimmt auf dem Wasser wie eine Ente, wenn die Frau also genau so schwer ist wie eine Ente, dann ist sie eine Hexe. Während wir uns heute an die Stirn fassen hat man früher einen Leichnam angefasst und wenn er zuckte, war man schuldig und zum Tode verurteilt worden. Ging man in einem Leinensack auf dem Wasser nicht unter, war man schuldig und wurde zum Tode verurteilt. Wären wir in diesen Prinzipien verharrt, dann würde der Zweikampf auf Leben und Tod entscheiden, ob der Nachbar am Sonntag zu laut den Rasen gemäht hat. Um dieser zufälligen Gerechtigkeit ein Ende zu setzen und die Freiheit der Menschen mit Werten und Normen zu versehen, wurden die ersten Schritte im Zeitalter der Aufklärung getan, in der der Begriff „Freiheit“ eine rechtliche Komponente erhielt und vom Individuum losgelöst wurde.

Thomas Hobbes bestrebt in seinem philosophischen Text „Leviathan“, das Freiheit nicht ohne Sicherheit gewährleistet werden kann, da der Naturzustand des Menschen so brutal und grausam ist, dass man nur in Angst und Gewalt leben würde. Ohne klare Regeln sieht er keine Überlebenschancen für irgendjemand, da jeder im Schlaf getötet oder durch Intrigen überlistet werden könnte. Diese Sicherheit soll vom Staat gegeben sein.

Auch Kant sieht das ähnlich und sagt, dass es die Aufgabe der Politik ist Frieden zu gewährleisten und dazu müssen von der Vernunft geleitete Maxime von jedem eingehalten werden und vereinbar sein. So heißt es in Kants „Die Metaphysik der Sitten“:

„Das Recht ist […] der Inbegriff […], unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.

Teil 2: Recht und Freiheit

Nach einem größeren Exkurs sind wir nun im Zeitalter der Aufklärung, im modernen Verständnis des Begriffs, in dem die Freiheit im liberalen Sinne verstanden wird, angekommen. Freiheit von allen Zwängen unter dem Schutze des demokratischen Rechtsstaates, so wie es sich die Revolutionäre und Denker der Aufklärung gewünscht hätten. Allgemeine Gesetze, die für alle gelten, damit man „die Gesetze der Freiheit vereinen kann“. Schön und gut aber was ist, wenn man diese nicht vereinen kann? So eine juristische Situation nennt man Normkollision und sie kommt öfters im Alltag vor, als es einem bewusst ist. Um sie zu lösen, gibt es drei Anwendungsregeln, die im Sinne der Einstufung, Genauigkeit bzw. Spezifizität und des Zeitpunkts abgeglichen werden. Schauen wir uns kurz mit diesem Wissen das schwierige Thema der Beschneidung in Deutschland an. Laut §4 des Grundgesetzes gilt:

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Wenn eine Religion also eine Beschneidung vorsieht, dann darf man diese durchführen. Wie verhält es sich jedoch, wenn man das nicht möchte, man noch minderjährig ist und die Eltern es trotzdem durchsetzen? Dann gilt §223 des Strafgesetzbuches:

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Da beide Gesetzbeschlüsse aktuell sind, ist der Zeitpunkt des Gesetzesentwurf kein Kriterium, nach dem man aussortieren kann. Beides sind vorranginge Gesetze und sind gleich einzustufen, weshalb man hier auch juristisch in eine Sackgasse gerät. Also könnte nur noch die Spezifizität darüber entscheiden, welches Recht greift. Aus diesem Grund wurde 2012 das Gesetz §1631d beschlossen in dem es heißt:

(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird. (2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.

Für männliche Kinder wurde hierfür ein Gesetz beschlossen, wobei es hingegen bei weiblichen Kindern immer noch als Genitalverstümmelung gesehen wird und eben mit einer körperlichen Misshandlung bestraft wird. Wenn man hier den religiösen Aspekt außer Acht lässt, dann ist hier die Willkür des Gesetzes nicht zu leugnen.

Beleuchten wir eine weitere religiöse Normkollision: der Kopftuchstreit.
Eine muslimische Rechtsanwältin soll, laut Gesetz, kein Kopftuch tragen dürfen, da somit keine religiöse Neutralitätspflicht gegenüber dem Staat erfüllt wäre. Wie sieht es aber mit einer Lehrerin aus? Darf eine muslimische Lehrerin ein Kopftuch tragen? In Baden-Württemberg ist die Antwort klar: Nein. Doch warum dürfen Nonnen religiöse Kopfbekleidung tragen und weiter unterrichten? Die Argumentation ist, dass das Kopftuch negativ-konnotiert ist und die Unterordnung der Frau gegenüber dem Mann symbolisiert. Wie sollte man aber urteilen, wenn die Muslimin dies nicht so sieht? Schränkt dann nicht die allgemeine Ansicht der Bevölkerung die Freiheit dieser Muslimin ein? Wie ist es im Christentum? Kann ein Abtreibungsverbot nicht ebenfalls viele Leben zerstören und ist phänomenal willkürlich gewählt? Oder an dieser Stelle allgemein gefragt: Können wir denn mit dem Konzept der Religion und vor allem eines allmächtigen Wesens überhaupt frei sein?

Teil 3: Wahrnehmung und Freiheit

„Eli, Eli, lama asabtani “. Mein Gott, mein Gott. Warum hast du mich verlassen?

Ist meiner Meinung nach einer der interessantesten Aspekte der christlichen Religion. Jesus zweifelt an seiner eigenen Botschaft und hinterfragt Gott, seinen Vater. Wenn man Leuten die Geschichte nur bis zu diesem Zeitpunkt erzählen würde, dann würden wohl viele annehmen, dass Jesus sich nicht opfern wird und sich nicht nur vom Glauben, sondern auch vom Kreuz losreißen wird. Doch wie wir wissen, passiert das nicht. Aber warum? Was bringt Jesus dazu seinen Pfad fortzuführen? Ist es die Tatsache, dass er sich an seine eigenen Wunder erinnert und das Menschliche in ihm ihn zwingt zu hoffen, dass alles gut gehen wird? Ist es der immense Druck, der ihm von all den Menschen auferlegt wird und er Angst hat sie zu enttäuschen? Oder war es einfach nur Gottes Wille und Christus war nur ein Teil in einem großen Theaterstück, das der Herrgott selbst geschrieben und inszeniert hat? Wenn es Letzteres war, dann ist es doch eine ziemlich perfide Vorstellung, dass Gott will, dass sein eigener Sohn leidet nur damit er für all die anderen Menschen, egal ob gut oder schlecht, die Sünden reinwäscht. Können wir uns damit abfinden, nur weil Gott es so wollte, jemand der uns lieb war, gestorben ist, Diktatoren, die täglich hunderte von Menschen töten, jedoch ein entspanntes und erfülltes Leben haben dürfen? Wenn es wirklich einen allmächtigen Gott gibt, dann hat weder Jesus noch wir einen freien Willen und agieren immer nur von ihm vorherbestimmt. Wir erinnern uns kurz an Spinoza und seinen Vergleich mit dem Stein zurück: wir werden also von Gott geworfen und wenn wir an so einen Gott glauben, dann werden wir von ihm gelenkt oder zumindest an ein gewisses Ziel befördert. Einige von uns werden diese Vorstellung als äußerst unangenehm empfinden und sagen, dass man seine eigenen Entscheidungen trifft und das nichts mit Gott zu tun hat. Andere von uns werden sich mit dem Gedanken geborgen fühlen. Es ist doch irgendwie auch schön zu wissen, dass man nichts für sein Schicksal kann und jemand über uns wacht.

Aber diese Annahme vom theologischen Determinismus birgt auch Gefahren, denn wenn ich für nichts mehr verantwortlich bin, dann kann ich auch für nichts mehr bestraft werden. Wenn Gott wollte, dass ich Menschen töte, dann war es sein Wille bzw. meine Bestimmung und ich werde mir keiner Schuld bewusst sein. Ähnlich knifflig ist es auch beim wissenschaftlichen Determinismus, in dem angenommen wird, dass nicht nur durch ein allmächtiges Wesen, sondern durch jegliche Vorbedingungen alle Ereignisse bereits festgelegt sind. Doch wenn man ja gar keine Wahl hatte, ist es dann überhaupt möglich zur Rechenschaft gezogen zu werden?
Um dieser metaphysikalischen Sackgasse zu entrinnen, gibt es den sogenannten Kompatibilismus. Diese Disziplin besagt, dass freier Wille und Determinismus miteinander vereinbar sind, in dem davon ausgegangen wird, dass auch wenn man prädestiniert ist Entscheidung A zu treffen, man auch irgendwie die Möglichkeit gehabt hätte Entscheidung B zu wählen. Wenn wir das Paradox der Freiheit betrachten, dass eine Grenze bestehen muss, um Freiheit zu haben, dann macht dieser Ansatz Sinn und ist sogar absolut notwendig für einen freien Willen.

Wenn wir uns hier erneut der theologischen Seite zuwenden, dann gibt es ebenfalls religiöse Kompatibilisten, die Gottes Allwissenheit entweder in unserer Logik und unseren Gedankenhorizont integrieren oder eben über diese hinaus verstehen. Im letzteren Beispiel würde Gott möglicherweise außerhalb unseres Zeitverständnisses existieren und sähe unsere Entscheidung nicht als final, sondern nur als eine von vielen Möglichkeiten, die wir treffen könnten. In der anderen Variante sähe Gott zwar was passieren wird, könnte aber nicht beeinflussen, was passiert und so lag die Entscheidung nur bei uns und Gott hätte nichts damit zu tun. Hier scheiden sich jedoch die Geister immens, denn als Pendant zum Kompatibilismus steht der Inkompatibilismus, der die gegenteilige Theorie vertritt: freier Wille ist nicht mit dem Determinismus in Einklang zu bringen. Wenn etwas vorherbestimmt ist und nicht geändert werden kann, dann bleibt ein freier Wille definitiv aus.

Irgendwie erschreckend dieser Determinismus und die Vorstellung durch Prädestination keinen freien Willen zu haben.  Andererseits würde eine Welt ohne Determinismus, eine Welt aus purem Chaos und Zufall sein. Wenn wir den Determinismus also gegen das andere Extrem austauschen und unser Universum nach dem Prinzip des Zufalls funktionieren würde, dann wäre es auch nicht möglich eine freie Entscheidung zu treffen. Auf ein zufälliges Ereignis habe ich schließlich genau so wenig Einfluss, wie auf ein Vorherbestimmtes.

Ob Zufall oder kausale Verkettungen, wir scheinen, im Gegensatz zu Sartres Auffassung, nicht an sich frei zu sein. Ist Freiheit oder besser gesagt freier Wille nur eine Illusion, die der Mensch hat, um sich selbst rechtfertigen zu können was er tut? Schauen wir hierzu in die Erkenntnisse der Neurowissenschaften.

Uns ist heutzutage bewusst, dass die linke und rechte Hemisphäre des Gehirns im Ausführen von verschiedenen Sachen gut sind und auch äußerst unterschiedlich funktionieren. Die rechte Hälfte des Hirns ist für die linke Körperhälfte zuständig und andersrum. Doch nicht nur das, die linke Hirnhälfte ist zum Beispiel auch für das Sprachzentrum, Mathematik sowie Logik, und die rechte Hemisphäre für Kreativität, Musik und Fantasie verantwortlich. Was passiert also, wenn man den Strang, der die beiden Hirnhälften verbindet, auseinanderschneidet und deren Kommunikation unterbindet? Genau das hat Roger Sperry beobachtet, der dafür im Jahre 1981 einen Nobelpreis für seine Experimente am geteilten Gehirn von Epilepsiepatienten. erhielt.

Abbildung 3: Skizze des „Schlüsselring“ Experiments von Roger Sperry

In einem seiner Experimente schauten Patienten mit einem geteilten Gehirn auf eine Tafel und das Wort „Schlüssel“ erschien links und das Wort „Ring“ rechts. Als die Patienten gefragt wurden, was sie gesehen haben, antworteten sie immer mit „Ring“ und griffen aber nach dem Schlüssel vor ihnen. Wie kann das nun sein?
Wie oben erwähnt ist die linke Hemisphäre für die rechte Seite, also auch für das rechte Auge, und ebenfalls für das Sprachzentrum zuständig. Aus diesem Grund konnte das Sprachzentrum nur das Wort „Ring“ verarbeiten. Da die rechte Hirnhälfte über das linke Auge das Wort „Schlüssel“ wahrgenommen hatte, griff der Patient mit seiner linken Hand nach dem Schlüssel. In diesem Versuch wurde die Entscheidung also massiv beeinflusst, in dem die Kommunikation des Gehirns gestört wurde. Die Entscheidung wurde erzwungen. Ist etwa das, dass was wir als freier Wille empfinden nur ein Impuls, der eine Aktion ausführt, der vorher durch beide Gehirnhälften gefiltert wurde?

Aufgedrängte Impulse sind zumindest nichts Ungewöhnliches in der Natur. Bei manchen Tieren gibt es eine Aneinanderreihung von Reflexen die man fixed action pattern (zu deutsch festgelegte Handlunsgmuster/Instinktverhalten) nennt. Evolutionär gesehen sind es nützliche Mechanismen, die energiesparend und vor allem schnell, gewisse Aktionen ausführen sollen. Mein Lieblingsbeispiel hierfür ist die Graugans. Entdeckt sie ein Ei, das aus ihrem Nest gefallen ist, dann beginnt sie sofort das Ei mit gezielten Halsbewegungen zurück ins Nest zu rollen. Nimmt man ihr das Ei jedoch mittendrin weg, dann rollt sie das nichtvorhandene Ei mit ihrem Hals so lange weiter, bis sie wieder am Nest angekommen ist. Dieser Reflex wird witziger Weise nicht nur durch Eier ausgelöst, sondern von allem was einem Ei optisch ähnelt. So wurde dieses Verhalten auch mit Türknöpfen, Rieseneiern und sogar Basketbällen beobachtet.

Der Mensch hat ähnliche evolutionsbezogene Mechanismen, die sich zum Beispiel die Werbung zu Nutze macht. Vornean steht hier das Streben nach mehr und die sublime Farbgebung von etwas. Doch sind diese psychologischen und neurobiologischen Zwänge genug, um uns einen freien Willen abzusprechen? Wenn sie von einer Werbung verführt worden sind, weil man ihre psychologische Normalität missbraucht hat, war es dann komplett ihre Entscheidung das Produkt zu kaufen? Gehen wir noch etwas weiter und betrachten dazu das weltberühmte Libet-Experiment.
Benjamin Libet beobachtete in den 1980ern, dass bei einer absolut freien Entscheidung einen Knopf zu drücken, das Gehirn die Bewegung der Hand bereits mit Potentialen (readiness potential; RP) vorankündigte, bevor dem Probanden bewusst war (Will, W), dass er den Knopf gleich drücken würde (Movement, M).

Abbildung 4: Skizze des Libet-Experiments

Die Gehrinaktivität ging also der bewussten Entscheidung voraus. Das Gehirn scheint mit verschiedenen Signalen, Logikstrukturen, Reflexen und chemischen Interaktionen uns die Wahl vorwegzunehmen. Aber sind wir nicht genau das? Wir haben doch unser Gehirn trainiert exakt so zu entscheiden, wie wir es wollen würden. Ab wann ist unser Gehirn ein mechanisches Organ und wann beginnt unser Bewusstsein? Unser Bewusstsein sitzt auf jedem Fall im Gehirn und so sehr man doch an den freien Willen glaubt und hofft, ist eine Abkopplung von gewissen Naturgesetzen einfach nicht möglich. Die mechanische Sensorik und die jeweiligen Gesetze, die daraus entstehen, bestimmen unser ich. Wenn wir uns kurz an das Paradox der Freiheit und die innere Freiheit zurückerinnern, war uns das aber indirekt zumindest schon lange bewusst. Drehen wir uns hier im Kreis? Sind wir einfach auf grundlegende starre Naturgesetze reduziert?

Interessant wird es nun, wenn diese Naturgesetze gar nicht so starr und genau spezifiziert sind, wie wir bisher dachten. Ein faszinierendes Phänomen sind die sogenannten emergenten Eigenschaften. Emergenz bedeutet so viel, dass ein System aus gewissen unteren Strukturen neue Eigenschaften in einer höheren Struktur ermöglicht. Ein verständliches Beispiel hierfür wäre ein Roman. Auf der untersten Ebene ist es speziell positionierte Tinte auf Papier, eine Ebene weiter oben wird diese Tinte zu Buchstaben, in der darauffolgenden Ebene handelt es sich um Wörter, dann Sätze und zum Schluss ergibt sich aus dem Gebilde aus Worten eine Abstraktion, die ein Leser als Geschichte interpretiert. Diese Alltäglichkeit, ein einfacher Transfer von einem System in das andere, ist etwas, was wir in der Wissenschaft noch nicht messen können. Auch wenn wir die Informationen über all die Buchstaben, Worte etc. haben, erlaubt das übertragene Bild oder die Gedanken in einem Leser für eine Freiheit, die trotz geringer Anzahl von ca. 100 Zeichen nicht immer vorherbestimmt werden kann. Ein nicht endliches bzw. beschränktes System wie das Universum erstellt also durch diese ubiquitäre Unvollkommenheit eine weitere höhere Ebene, die nur anhand dieser Begrenzung existieren kann. Diese Emergenz erlaubt somit komplett determinierten Systemen eine Komponente des Zufalls bzw. der Freiheit zu entwickeln, die nicht vorherbestimmt werden kann. Eine schöne Analogie hierfür schuf John Conway mit seinem Programm „Game of Life“. Anhand von Regeln werden Quadrate erzeugt oder gelöscht und bilden dadurch immer wieder ein neues Muster.

Abbildung 5: Regeln des Game Of Lifes

Die Quadrate können also nur zwei Eigenschaften annehmen und sind da, wenn ein anderes bestimmtes Quadrat nicht da ist. Wenn wir dieses Programm nun auf die atomare Ebene übertragen, dann erkennen wir diesen Zufallsfaktor in einem deterministischen System auch bei der Quantenmechanik. Teilchen haben eine Eigenschaft, die man den Spin nennt, er ist eine feste Eigenschaft wie Masse oder Ladung, hat aber Auswirkungen auf das Magnetfeld. Sind Teilchen wie z.B. zwei Elektronen miteinander verschränkt, dann müssen sie immer den Gesamtspin = 0 besitzen. Ein Elektron hat den Spin 1 und das andere den Spin mit -1, da nun beide den Gesamtspin auf 0 halten, muss, wenn sich das eine Elektron von -1 auf 1 ändert, das andere von 1 auf -1 wechseln. Doch wann passiert sowas?  Warum ändert sich ein Teilchen?
Die Antwort hierfür ist, da wir es beobachtet haben. Diese Überlegung machten auch Conway und Kochen und postulierten das Free-Will-Theorem, das besagt, dass wenn wir einen freien Willen haben sollten und ein Teilchen beobachten, dass sich ändert, dann hat das Teilchen ebenfalls einen freien Willen. Ob Teilchen diesen freien Willen nun tatsächlich haben, hängt also von unserer Perspektive ab. Doch auch wenn das nicht so wäre, dann können wir anhand von Simulationen, Gedankenexperimenten und Analogien davon ausgehen, dass unser Universum sich in einem Stadium zwischen dem absoluten Zufall und der vollkommenen Determination befindet und nur durch eine Limitation vollständig sein kann. Wenn also alles in unserem Universum nicht definitiv ist, warum sollte das bei unserem Bewusstsein und somit bei unserer Freiheit anders sein?

Teil 4 Finale Gedanken

Wir merken, dass es sowohl viele Argumente für als auch gegen einen freien Willen und Freiheit gibt, doch das Hauptproblem der Freiheit bleibt, wie man es dreht und wendet, bestehen. Wir können die fehlende Komponente zwar immer umschreiben, aber das geht nur, wenn sie fehlt. Ich möchte hier mit einem Witz meines Lieblingsphilosophen Slavoj Zizek zum Schluss kommen.

Ein Westdeutscher macht bevor die Mauer entsteht mit seinem ostdeutschen Freund aus, dass sie sich Briefe in unterschiedlichen Farben schreiben, damit sie lügen können, ohne erwischt zu werden. Sie einigen sich darauf, dass sie die Wahrheit mit blauer und Lügen mit roter Tinte schreiben. Die Mauer wird gebaut und nach einiger Zeit erhält der Westdeutsche von seinem Freund einen Brief. Neugierig beginnt er ihn zu lesen, denn der Brief ist komplett in blauer Tinte geschrieben.

„Mein lieber Freund, Alles ist toll hier: die Läden sind voll mit Lebensmittel, die Wohnungen sind groß, geräumig und gut beheizt, die Kinos zeigen Filme aus den Westen, die Menschen sind höflich, die Frauen wunderhübsch und allzeit bereit etwas versautes zu unternehmen – das Einzige was es nicht gibt, ist rote Tinte.“

Text: Daniel Engel (ZeBlog)
Illustration: Daniel Engel (ZeBlog) und Elissa Engel

Weitere Beiträge dieser Reihe:
Glück
Gibt es einen Gott?