Heute wird es persönlich! Ich habe im Jahr 2019 eine Reihe von Co-Predigten mit unserem lokalen Pfarrer gestartet. Hier ist die erste mit dem Thema „Religion und Wissenschaft: Gibt es einen Gott?“.
Ich:
Als herangehender Wissenschaftler habe ich mich öfters mit dem sehr alten Konflikt zwischen Naturwissenschaften und Religion auseinandergesetzt und somit auch mit der Frage „Gibt es Gott?“. Doch wenn man sich dieser Frage erstmal annimmt, dann schwebt sie selbstverständlich nicht alleine im Raum, denn sobald man nach dem „Ob?“ fragt, lassen die W-Fragen nicht lange auf sich warten. So ist die abstruseste und wahrscheinlich am häufigsten gestellte Frage, die nach dem „Wie?“. Jetzt möchte ich, dass sich jeder kurz selbst beantwortet wie so Etwas, wie ein Gott, existieren kann. Sind Sie alle zu einer Einsicht gekommen? Gut.
Mir ist nämlich aufgefallen, dass diese Frage meist mit denselben Antworten zu lösen ist, wie die Frage wieso Niemand weiß, wie das Gerät heißt, das im Supermarkt die Waren auf der Kasse trennt.
Die Aussagen lauten entweder „Ist halt so“ oder eben „Weiß ich nicht“. Und selbst wenn man die Antwort wüsste, dann würde man daran ja nichts ändern können, dass es so ist. Weil man am wie nichts ändern kann, stolpert man also in die nächste Ebene der W-Fragen zum „Was?“. Was ist Gott bzw. was kann ich mit einem Gott anfangen oder, um in der Analogie zu bleiben, was ist dieses Phänomen, das die Menschen davon abhält, herauszufinden, wie dieses Gerät, dass die Waren trennt, offiziell heißt?
Diese Frage wird zum Beispiel von den 10 Geboten beantwortet: Niemand.
Man darf sich kein Bild von Gott machen. Aber dennoch, wenn ich jetzt eine Umfrage starten würde, dann wäre das Ergebnis so eindeutig wie das Amen in dieser Kirche am Ende des Gottesdienstes. Viele werden sich an den Gott von früher erinnern. Einen alten bärtigen Mann, der irgendwo im Himmel sitzt und auf uns herabsieht.
Pfarrer:
Es gibt aber auch noch ganz andere Bilder. Ich bin mir sicher, dass viele nicht mehr an den bärtigen Vater oder Mann glauben, sondern vielmehr sich auch an biblischen Bildern orientieren. Wir dürfen uns ein Bild von Gott machen, wir haben ja gar keine andere Wahl. Wir dürfen nur nicht sagen: Da schau her, das ist Gott und das Bild beten wir jetzt an. Aber um von Gott zu reden bleibt uns nichts anderes übrig als bildliche Sprache. Die Bibel ist reich davon und zeigt, dass Menschen von alters her von Gott in Bildern gesprochen haben. Die Frage nach dem Wie hat sie gar nicht berührt oder umgetrieben, weil sie Erfahrungen in ihrem Leben gemacht haben, die sie mit Gott verbinden. Erfahrungen, behütet und bewahrt zu werden oder eben auch gehalten und getragen zu sein. Aus der Knechtschaft in die Freiheit.
Konfirmanden und Konfirmandinnen haben im vorletzten Jahrgang (2017) Bilder gemalt unter der Überschrift Gott ist wie…für mich. Wie ein Fels in der Brandung. Wie das Licht, das mich wärmt. Wie der gute Hirte oder auch wie ein Freund. Alles Bilder von Gott, die sich in der Bibel finden. Wie auch die Rede, davon, dass Gott wie eine feste Burg ist oder eine Glucke, die mich in ihren Fittichen birgt. Für mich alles Bilder, die nur dann einen Sinn machen, wenn Menschen genau die Erfahrung machen, die hinter dem Bild steht. Also beispielsweise: Gott war Licht auf meinem Weg, als ich keinen Weg mehr gesehen habe. Oder Gott hat mich geborgen, als ich Angst hatte.
Ich:
Jeder hat sein eigenes Bild von Gott, aber warum ist Gott in sehr populären und vor allem künstlerischen Abbildern bärtig? Warum trägt Gott in Michelangelos „Die Erschaffung Adams“ einen Bart? Um Weisheit und Reife zu symbolisieren? Glauben Sie wirklich, dass ein allmächtiges und allwissendes Wesen, das alles erschaffen hat, freiwillig einen Bart tragen würde? Ein Schönheitsutensil, das beim Küssen piekst, in vielen Kulturen als unhygienisch gilt und einem beim Suppe-Essen stört? Hätte sich Gott am siebten Tage, nebst Müßiggang, nicht auch anständig rasieren können? Aber entfernen wir uns nun von diesen konservativen und obsoleten Bildern und analysieren die Neuinterpretationen von Gott durch Erfahrung. Wenn Gott ein Fels in der Brandung für mich ist und ein Familienangehöriger oder Freund erfüllt dieselbe Aufgabe, ist Gott dann ebenfalls Familie und Freund? Sind wir dadurch mit Gott verwandt oder können wir uns in ihn verlieben? Wird Gott uns oder diesen anderen Menschen, der seine Stellung teilt, bestrafen, weil er alles und dadurch auch eifersüchtig sein kann?
Sie sehen schon, wenn wir diesen Gedankengang immer weiterspinnen, dann merken wir bereits, dass eine Kombination aus kritischem Analysieren, radikaler Logik und zeitabhängigen Normen diesen Diskurs ins Lächerliche reißt. Das ist zwar völlig legitim, verfehlt aber die ursprüngliche Frage in seiner Essenz, weshalb ich wieder auf die erste Frage zurückkomme „Ob es Gott gibt?“.
Beim Hinterfragen dieser Essenz kommen wir zum erkenntlichen Knackpunkt des Disputs zwischen Religion und Wissenschaft. Die klassische Wissenschaft verlangt eine Aussage, die sich immer wieder bestätigen und generalisieren lässt, aber kein festgeschriebenes Gesetz darstellt. Es handelt sich um Theorien, die jeder Zeit durch eine gegenteilige Beobachtung widerlegt werden können. In der Religion hingegen gibt es Dogmen, doch gerade die Frage, ob es einen Gott gibt, kann keine Wissenschaft pauschal beantworten und dies ist neben vielen Atheisten und Wissenschaftlern auch ein Argument, den selbst manche Pfarrer nicht verstehen.
Pfarrer:
„Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“ sagt Dietrich Bonhoeffer, seines Zeichens Pfarrer und Theologe. Was er meint ist: So wie es ein Krokodil gibt, dass ich im Zoo den Menschen zeigen kann, dass ich mit naturwissenschaftlichen Instrumenten untersuchen kann, es in der Wissenschaft der Biologie einsortieren – in eine Art und Rasse- so gibt es Gott nicht. Er ist kein Gegenstand der Naturwissenschaft. Es wird zwar über ihn auch wissenschaftlich geredet und geforscht, aber mit Geisteswissenschaftlichen Methoden, in dem Fall mit Theologie. Wenn ich also ein Glas Wasser auf den Tisch stelle und 4 unterschiedliche Personen eine Aussage über das Wasser machen lasse, dann sind meiner Meinung nach alle Aussagen wahr, weil das Glas durch eine bestimmte Brille betrachtet wird und im Auge des Betrachters eben genau das ist, was er sagt. Konkret: Der Chemiker wird sagen: das ist H20. Ein Mensch vor dem Verdursten wird sagen: Meine Lebensrettung. Jesus würde sagen: Wie das Wasser für Euch so bin ich für Euch. Und möglich wäre sogar, dass einer ein Liebeslied auf das Wasser singt. Hat denn dann nur der Chemiker recht, weil er seines naturwissenschaftlich beweisen kann? Wenn wir uns auf eine Welt einlassen wollen, in der nur das naturwissenschaftliche gilt, dann bringen wir uns um vieles. Letztlich auch um Liebe, die sich nun naturwissenschaftlich gar nicht beweisen lässt. Viel mehr ist es bei ihr wie bei Gott: dort wo sie ihre Spuren hinterlässt, lässt sie sich sehen.
Im Übrigen hat ein Physiker die Naturwissenschaft mal mit einem Fischer und seinem Netz verglichen. Das Netz sind die Annahmen, die ein Wissenschaftler macht, wenn er forscht. Unter den Annahmen wird gefischt und gefangen. Was aber zu klein für das Netz ist geht durch die Maschen. Die Naturwissenschaft kann also vieles erklären, aber die grundlegenden Fragen menschlicher Existenz: Wer bin ich? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Kann sie nicht beantworten.
Ich:
An diesem Knotenpunkt, bei dem die beiden Disziplinen nicht verschiedener sein könnten, findet sich jedoch eine starke Parallele, denn am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts entdeckte man die Quantenphysik und die allgemeine Relativitätstheorie. Diese Entdeckung war für die damalige Wissenschaft ungefähr so – und ich bleibe bei der passenden Fischer-Analogie- als hätte der Fischer sein Netz nach Fischen ausgeworfen und beim Einholen hätte er eine Giraffe im Netz vorgefunden. Das mag jetzt absurd erscheinen, doch die erste, der beiden Theorien beweist, dass ein Teilchen an zwei (oder besser gesagt mehreren) Orten gleichzeitig sein kann. Berühmt dafür wäre das Gedankenexperiment von Schrödingers Katze, bei der eine Katze in einer Schachtel den Status tot und lebendig so lange besitzt, bis man die Schachtel öffnet und hineinsieht. Oder noch einfacher ausgedrückt, für ihre Familienangehörigen sitzen Sie momentan noch so lange daheim, bis jemand bemerkt, dass Sie ja hier in der Kirche sind. Vor dieser Erkenntnis ihrer sehr aufmerksamen Familie, sind Sie an zwei Orten gleichzeitig.
In der zweiten Theorie geht es um eine relative Zeit, die durch die Geschwindigkeit von Körper festgelegt wird. So würde theoretisch ein Mensch, der durch das Universum mit einer Rakete fliegt, viel jünger sein, als ein Mensch, der auf der Erde bleibt. Einfach „nur“, weil er sich schneller bewegt und einer anderen Zeit ausgesetzt war. Wie man sieht, besagen beide Theorien, auf wissenschaftlicher Ebene, dass es keine absolute Wahrnehmung zu bestimmten Faktoren gibt. Oft wird diese neue Weltanschauung mit einem Goldfisch in einem Glas verglichen. Würden Sie etwa einem Goldfisch unterstellen, dass er lügt, nur weil er die Welt aus einem verzerrten Wasserglas betrachtet? Immanuel Kant erkannte bereits, dass der Mensch und unser Verstand letztendlich die Natur bestimmt, so wie wir sie wahrnehmen. Der Mensch bringt Erkenntnisbedingungen in die Welt. Die Erfahrung des Menschen, egal zu welchem Thema, bleibt immer subjektiv und daher können wir über die Dinge an sich gar nichts wissen. Zu dieser Subjektivität möchte ich daher eine passende Anekdote erzählen.
Während des Konfirmationsunterrichts habe ich die auszubildende Theologin gefragt, was es denn für einen Unterschied machen würde, wenn ich mit meinem Kleiderschrank daheim reden würde, da mir dieser ja im Endeffekt genauso gesprächig antworten wird, wie Gott. Die Reaktion, die ich erhielt, war eine Mischung aus Empörung der Theologin und Gelächter der anderen Konfirmanden, obwohl genau diese, zuerst schwachsinnig erscheinende Frage, die Kernaussage unseres Glaubens verkörpert.
Wir alle nehmen Gott als etwas oder jemanden anderen wahr. Also warum dürfte er für mich kein Kleiderschrank sein?
Bereits Luther sagte, woran du dein Herz hängst, das ist Gott. Gott kann ein bärtiger Mann im Himmel, eine physikalische Allmacht, ein Fels in der Brandung, ein besungenes Glas Wasser oder ein Kleiderschrank sein, solange er einen Menschen motiviert Gutes zu tun und ihm die Hoffnung gibt an etwas Besseres zu glauben. Denn darauf baut die Religion auf, auf dem Glauben und die Hoffnung an etwas Besseres. Dieser Glaube kann zwar auch grauenvolle Taten und Hass im Herzen der Menschen schüren, doch das resultiert aus der menschlichen Natur und nicht aus dem Glauben.
Gott muss daher das bleiben was es ist. Ein Symbol.
Gott darf nichts Physikalisches, nichts Empirisches und vor allem nichts Absolutes sein. Gott ist ein weitaus größeres Konzept, wie die Liebe. Ein Konzept, das unberührt von Menschenhand am Schönsten und Ehrlichsten ist. Ein Konzept, das Menschen zusammenbringt, Menschen antreibt und Menschen ohne Hoffnung wieder Hoffnung spüren lässt.
Doch was ist denn nun mit der Frage, ob es einen Gott gibt? Sind wir denn nach diesem theologischen und wissenschaftlichen Exkurs zu keiner schlüssigen Antwort gekommen?
Tatsächlich sind wir das, denn wer nach einem Gott fragt, für den gibt es vermutlich keinen und obwohl es jeder für sich selbst entscheiden muss, ob und wie es ihn gibt, dem sei zum Schluss ein Zitat von Voltaire ans Herz gelegt: „Wenn es Gott nicht gäbe, so müsste man ihn erfinden.“
Text: Daniel Engel (ZeBlog) und C. Messerschmidt
Illustration: Daniel Engel (ZeBlog) und Elissa Engel