Für die Faulen nun auch auf Youtube.

„Du musst zum Friseur!“
„Was?“
„Du musst zum Friseur! Dein Kopf sieht so aus als hätte ein Seeadler sein Nest darauf gebaut und ein heftiger Windstoß es im Anschluss komplett zerstört.“
„Mmh?“
„Du musst zum Friseur! Vorne werden deine Spitzen schon ganz brüchig und zusätzlich sind sie wieder viel zu trocken. Das sieht so aus, als ob zwei unterschiedliche Moossorten auf deinem Schädel ums Überleben kämpfen würden.“
„Ja, so schlimm?“
„Mmh, du musst zum Friseur! Hinten hast du so ein Wirbel der…“
„Na schön ich gehe ja schon.“
„Mmh“
Ich nehme meinen Geldbeutel von der Kommode, meinen Mund-und-Nasenschutz von der Garderobe und greife auf dem Eckregal nach Luft.
„Hast du mein Handy gesehen Schatz?“
„Hast du das etwa aus den Augen verloren? Ich dachte es wäre mittlerweile schon zu einer erweiterten Extremität von dir geworden. Die Anatomie meines Mannes, rechte Hand: kleiner Finger, Ringfinger, Mittelfinger, Zeigefinger, Daumen, Handballen, Handy.“
„Also nicht?“
„Nein und ich bin ganz froh darüber.“  
„Hast ja recht, ich bin zur Zeit wirklich viel am Handy.“
„MMH!“
„Also dann geh ich mal ohne Handy. Bis nachher.“
„Bis nachher, pass auf dich auf und lass dir auf keinen Fall wieder die Schere irgendwo reinrammen.“

Mit den Gedanken an den letzten traumatischen Friseurbesuch verlasse ich die Wohnung. Ich gehe die Straße runter, biege links, an der uneinnehmbaren Festung mit dem Berserker-Dackel, ein, hüpfe die Treppen hinunter und bin in der Innenstadt. Der Marktplatz ist wie leergefegt. Ob wohl noch andere Menschen um 7:30 Uhr zum Friseur gehen? Ich ziehe meine Maske auf und betrete den Friseursalon. Ich weiß nun, warum keine Menschenseele draußen zu sehen war, denn anscheinend ist jede Menschenseele um 7.30 Uhr beim Friseur.

„Guten Tag, haben Sie einen Termin?“
„Guten Morgen. Ähm nein, ich bin spontan vorbeigekommen und dachte, da ich so früh dran bin…“
„Denken Sie nicht so viel. Als Friseur boomt das Geschäft, da kann man nicht einfach mal jemand spontan dazwischenschieben. Manche von unseren Kunden sind schon seit 6:40 Uhr hier und selbst das ist für unsere Verhältnisse noch recht spät. Ohne Termin wird das echt schwierig. Was brauchen Sie denn? Färben, waschen, föhnen, legen, Dauerwelle, Haubensträhnen, Foliensträhnen, Bartrasur, Lasern, Paintings, Dreads, Cornrows, normales Flechten, Pflege, Spülung, Pflegespülung, Ansätze, Spitzen, Extension, Nassschnitt, Trockenschnitt, Augenbrauen zupfen, Balayage, Glatzenschnitt plus Politur, festigen, glätten, Henna, Maschinenschnitt, kurz, lang oder einen Calligraphy cut?“
„Geschnitten, flott und sommertauglich.“
„Nass oder trocken?“
„Ich denke nass wäre ganz gut, weil…“
„Kurz oder lang?“
„Ich vermute mal für den Sommer wäre kurz besser.“
„Waschen und Pflege?“
„Kommt drauf an, sind denn die Felgen mit dabei?“
„Was?“
„Das war ein Witz, weil das bisher alles wie bei einer Autowaschanlage klingt.“
„Nicht besonders witzig, aber ich denke ich habe verstanden, was Sie wollen. Einen unriskanten, langweiligen, oldschool Haarschnitt.“
„Nennt man das heutzutage nicht Vintage?“
„Uuurgh, nicht nur oldschool sondern auch noch ein Klugscheißer. Trixie was meinst?“
Es stolziert eine Frau, die wie eine botoxsüchtige Zahnarzthelferin aussieht, aus einem der Hinterräume hervor und mustert mich.
„Was hatter?“
„Nass und kurz.“
Trixie dreht sich mit weit aufgerissenen Augen zu der anderen Mitarbeiterin um, dreht sich zurück zu mir und mustert mich noch akribischer als bevor, indem sie mit ihrer Schere meinen Körper abzeichnet.
„Is ja nich so porno… Aba kann man nichts mache. Hatter Termin? Welches Quartal hatter reserviert?“
„Keinen Termin, Trixie. Er ist einfach so zu uns gekommen.“
Trixie fasst sich mit Daumen und Zeigefinger an die Stirn und fährt ihre Augenbrauen entlang.
„Na gut, setzi‘n mit rein und schiebi’n irgendwann dazwischen.“   
„Danke Trixie. Kommen Sie mit und setzen Sie sich dort in den Wartebereich bis man Sie aufruft.“
Trixie verschwindet kopfschüttelnd in den hinteren Räumen, während ich der namenlosen Frau folge. Ich werde in einen separaten Raum geführt, der durch Glas vom Rest des Salons getrennt ist. Von ca. 20 Plätzen sind zwei frei. Wie in den öffentlichen Verkehrsmitteln ist immer nur neben dicken Frauen ein Sitz offen. Die eine scheint ihre Dauerwelle auffrischen lassen zu wollen und die andere reißt sich heimlich Haare aus und scheint sie in ihrer Hosentasche zu sammeln. Ich setze mich neben die korpulentere Frau mit eingesackter Dauerwelle. Gedanklich erstelle ich »Durch die Abstandsregeln ist es gar nicht mal so schlimm neben einer dickeren Person zu sitzen« als Pluspunkt auf meiner imaginären Pandemiepositivitätsliste gleich unter Boris Johnson. »Niemand hockt auf meiner Jacke, atmet extrem laut, nur weil er existiert, oder attackiert mich über seine abgerundeten Schultern mit Krümel seiner gerade gekauften Puddingschnecke« wird ebenfalls notiert. Ich fühle mich etwas wie beim Arzt. Alte Zeitschriften, viele Menschen, von denen manchmal einer hustet aber alle warten darauf, dass sie sich nach dem Besuch besser fühlen. Ach wie gerne wäre ich jetzt beim Zahnarzt. Naja, mal sehen was in der Gala vom 14. November 1996 steht. »Bill Clinton wiedergewählt«. Sowas steht in der Gala? Ah hier schon eher etwas Gala typisches »Lady Diana in der Festival Hall: Lady Diana zeigte sich am Abend in einem dunklen Kleid und nicht in ihrer gewohnten Pastellkleidung. Ohoh, wer ist denn gestorben? Hoffentlich ist ihr Modegeschmack nicht gegen die Wand gefahren worden.«.
Ich beginne zu kichern und die Frau mit der demolierten Dauerwelle schaut interessiert zu mir. Schnell blättere ich weiter und tue so, als ob ich sie nicht gesehen hätte. Ich stoppe bei einer Werbung für ein Parfüm, das heutzutage keine Sau mehr kennt. Auf der Werbeseite ist eine dünne, blasse und drahtige, brünette Frau, die einen cremefarbenen Trenchcoat trägt. Sie trägt weiße Pumps mit beigen Puscheln, auf ihrem Kopf befindet sich ein chamoise-farbener Hut, der wie ein Hundenapf aus Stoff aussieht und unter ihr steht der Slogan „Göttin der Vanille“ in einem viel zu dicken Font.  Unten rechts in der Ecke ist das Parfümfläschchen abgebildet, es ist ein Frauenkörper der eine Vanilleschote umschmiegt. Ich frage mich warum das Parfüm gefloppt ist. Obwohl ich Vanille normalerweise sehr mag, blättere ich wieder weiter. »Gesundheitstipps für die moderne Frau:«. Nachdem ich die Wörter »Detoxdance« und »Liebesaerobic« entdeckt habe, falte ich die Zeitschrift zusammen und lege sie zurück. Als ich zu meinem Platz zurückkehre, ignoriere ich die Frau mit der ausgepflügten Dauerwelle erneut. Nach ein paar Minuten kommt eine Mitarbeiterin des Friseursalons herein und ruft „Nummer 328“. Eine ältere kleine Frau mit Rollator steht auf und schnellt zur Tür. Die Frau an der Tür brüllt erneut „Nummer 328“. Der Rollator ist schon sage und schreibe drei Schritte weiter. Die ältere Frau beginnt zu schwitzen und macht kurz Pause. Erneut setzt die Frau an der Tür ihre Lunge in Unterdruck und posaunt dann die Worte „Nummer 328“. Alle im Warteraum sind deutlich genervt.
„Sehen Sie nicht, dass die Frau auf dem Weg ist?“, patzt eine Frau, die ihren Nachnamen in die Kopfhaut eingefräst haben möchte.
„Ich dachte, dass Sie vielleicht nur aufs Klo muss.“, verteidigte sich die Frau an der Tür.
„Ich gehe aber bei sowas lieber nochmal auf Nummer sicher. Sonst werden nur wieder verklagt. Hallo! Sie da! Sind sie die Nummer 328?“
Hinter dem Rollator bleibt die Antwort aus. Nun beginnt die Frau an der Tür die gesamte Luft aus dem Raum in ihre Lungenflügel zu ziehen und schreit wie eine Banshee „Sind Sie Nummer 328?“.
Alle, außer der geölte Blitz, erwidern mit „Ja“.
„Ich muss das aber von ihr wissen.“, erklärt die Friseuse an der Tür.  
Die Stimmung beginnt im Wartezimmer zu kippen, verzweifelte Blicke suchen Bestätigung und Erlaubnis schreckliche Dinge zu tun, mehrere Personen fassen sich an die Stirn und man hört langsam das Schnalzen der gerissenen Geduldsfäden. Aus dem nichts steht eine Frau mit Lockenwicklern auf, geht zur Rollatorrennmaus und schiebt sie sanft zur und durch die Tür. Das Goldkelchen verlässt den Raum und geht ihr nach, woraufhin die Frau mit Lockenwicklern wieder den Raum betritt. Sie wird bejubelt, es wird geweint und irgendwer öffnet eine Dose mit Limonade und wirft sie vor Freude durch den Raum. Die Euphorie hält jedoch nicht lange an, denn erneut kommt eine Friseuse durch die Tür und ruft „Nummer 476“. Keiner antwortet. Wie eine Stinkbombe beginnt sich der Unmut aus der Mitte des Wartezimmers in die äußeren Ecken auszubreiten. Es ertönt erneut „Nummer 476“ in einem etwas lauterem Ton. Ich schaue aus Versehen zu der Frau, die sich die Haare rausreißt und in ihre Hosentaschen packt. Mittlerweile ist sie kahler geworden und ihr rechter Oberschenkel könnte mit einem schlecht gestopften Kissen verglichen werden. Ich halte es hier nicht mehr aus und mir fällt ein, dass ich keine Nummer gezogen habe.
„Ich bin Nummer 476“, rufe ich entschlossen. Ich schaue fragend in die Runde und als niemand Widerspruch einlegt, gehe ich zur Tür. Die dicke Frau mit Haarpopcorn auf dem Kopf sieht mir traurig nach, als wäre ich ein letzter Donut, der gerade auf den Boden gefallen ist. Ich kann es an ihren Lippen ablesen, wie sie „Geh nicht Kringelchen“ flüstert.
„Wunderbar, dann kommen Sie bitte mit.“
Ich werde an einen Friseurstuhl geführt, vor dem ein Spiegel mit einer schwarzen Marmorbank befestigt ist. Auf der Marmorbank steht ein burgunder-rotes Sparschwein, auf dem ein Malerkreppband geklebt wurde, auf dem mit Edding sorgfältig „Biggi“ kaligraphiert wurde. Nach einer sorgfältigen Observation habe ich fünf von diesen Biggi-Schweinen gezählt.
„Setzen Sie sich bitte, meine Kollegin wird bald bei Ihnen sein.“
Ich setze mich und möchte nach meinem Handy greifen, um zu schauen welches Jahr wir mittlerweile haben. Stimmt ja, das liegt irgendwo daheim. Aus heiterem Himmel steht hinter mir eine Frau mit wasserstoffblonden Haaren, bekleidet mit einer Art Metzgerkittel und einer pinken Atemschutzmaske. Zusätzlich wird ihre Gestalt von einem Delfintattoo auf dem Oberarm und einer Hornbrille mit Herzchenform geschmückt.
„Hallo ich bin die Birgit. Du darfst mich aber gern Biggi nennen. Alle nennen mich so. Also Süßer, nimm doch deine Maske ab und sag mir, was ich für dich tun kann.“
„Hallo Birgit, ich möchte meine Haare geschnitten haben. Sommertauglich und bevor weitere Fragen kommen: nass, kurz, keine Pflege.“
Erschüttert darüber, dass ich sie Birgit genannt habe aber dennoch freudestrahlend entgegnet sie mir mit einem nüchternen „Also dann“.
Sie schnappt sich eine Art Winterabdeckung für einen Kleintransporter, schwingt ihn um mich herum, macht ihn an meinem Nacken fest, zieht ihren Friseurwagen an sich ran, pult eine Schere sowie einen Kamm aus ihrem Holster und nimmt eine Sprühflasche in ihre freie Hand. Brigitte beginnt mit der Sprühflasche meine Haare nass zu machen und durchstriegelt sie mit dem schmalen Kamm. Ich beobachte sie durch den Spiegel, doch sie konzentriert sich nur auf meine Haare. Merkwürdig, sind wohl die ganzen Klischees über Friseure doch nicht alle wahr. Plötzlich bemerke ich, dass Brigitte eine etwas andere Farbe im Gesicht bekommt. Ihre Backen werden roter und ihre Stirn ebenfalls, währenddessen beginnt ihr Unterkiefer minimal hin und her zu schieben. Was passiert mit ihr? Ihre Augen sind schon ganz starr. Hoffentlich hat sie keinen Herzinfarkt.
„Alles in Ordnung?“
Wie eine Unterwassermine explodiert und sprudelt Brigitte los, „Nett, dass Sie fragen, mir geht es supi. Meinem Mann und unseren drei Kindern vermutlich auch, aber woher soll ich das momentan wissen, ich bin ja nicht bei ihnen. Hahaha. Obwohl meine Jüngste, die Conni, die schreibt ja heute eine Chemiearbeit und das Thema hat sie wirklich gut kapiert aber dann in der Arbeit… Naja sie wissen schon, man lernt eine Woche komplett durch und dann sitzt man vor dem Papier und hat ein Blackout. So ging es damals Marcel auch schon. Schwieriges Thema, aber Bachblüten und Baldrian haben Wunder gewirkt. Als die Nervosität weg war, da waren auch die Probleme weg und schwupps hagelte es dreien. Richtig stolz war ich, dass kann ich Ihnen sagen. Mein Mann hingegen ohje, der wollte immer mindestens zweien sehen. Aber was sind schon Noten. Hahahaha nur Zahlen, richtig. Aber genug von mir. Wie geht’s dir denn?“
„Mir geht’s bisher ganz gut und könnten wir bitte beim Sie bleiben, das liegt mir mehr bei fremden Menschen.“
„Ich bin doch nicht fremd, ich bin die Biggi, deine Friseurin. Hahaha. Na schön, dann sieze ich dich eben. Das freut mich aber, denn in so einer Zeit wie dieser kann man ja gar nicht froh genug über seine Gesundheit und die körperliche und geistige Verfassung sein. Weißt du ich bin eher auch eine gesunde, doch letztens habe ich mich richtig schlecht gefühlt. So malade irgendwie. Wissen Sie, was mir da geholfen hat?“
„Womöglich Baldrian?“
„Nein, Lachyoga und regelmäßige Fußmassagen. Ich sag Ihnen, dass ist die pure Entspannung. Lachen und danach die Zehen durchgeknetet bekommen. Ah ich wünschte mein Mann würde das machen, aber er findet meine Füße eklig. Einmal als er betrunken war, da hat er sie aber mit Sekt übergossen und abgeschlabbert. Das war an meinem 40. glaube ich. Achja, die Zeit, die huscht an einem vorbei. Kennen sie das? “
„Wenn mir jemand die Füße abschlabbert?“
„Nein, das Gefühl zu haben durch sein Leben geworfen zu werden ohne Bremse oder Anker. Wie lange darf es denn seitlich werden?“
„Nein, das Gefühl kenne ich so noch nicht und die Seitenlänge ist mir eigentlich egal.“
„Sie sind ja auch noch jung und unerfahren, da machen Sie sich mal nichts draus. Hahaha. Wunderbar, dann fange ich erst oben mit der Schere an und dann nehme ich die Maschine und mach den Rest passend.“
„Klingt doch ganz gut, was Sie da sagen.“
„Naja, jeder Kunde ist individuell und man hat eben keine Bauanleitung wie bei Ikea. Dabei fällt mir ein. Das glauben sie mir nicht! Haben Sie eigentlich gewusst, dass IKEA eine Sonderabteilung der schwedischen Regierung ist und sie einfach alle Möbel der beseitigten Staatsgegner verkaufen? Deshalb haben die auch alle so komische Namen, das sind nämlich die Namen der Familien, die beseitigt wurden.“
Das Gespräch entwickelt sich langsam zu einem Unfall, von dem ich nicht mehr wegsehen kann und daher lasse ich mich darauf ein.
„Das ist ja der Wahnsinn. Haben Sie noch mehr so Geschichten auf Lager?“
„Geschichten? Das ist die harte Realität Junge. Ich habe letztens mit einer bekannten geredet und wissen Sie, was mir die erzählt hat? Die Regierung hat extrem aggressive Jägerzecken gezüchtet, um uns alle zu sinnlosen Impfungen zu zwingen. Ich sag‘s ja schon lange mit den ganzen Schwermetallen werden bald Nanoroboter in uns eingespeist, mit denen uns die Illuminaten irgendwann kontrollieren können. Stellen Sie sich das mal vor, Sie werden gezwungen Sachen zu machen, die Sie nicht wollen.“
„Ja, das kann ich mir gerade sehr gut vorstellen. Aber mal nun wirklich, was ist denn ihr momentan absoluter Geheimtipp? Was haben Sie gehört?“
„Also das dürfen Sie niemanden weitererzählen sonst werden wir von der Regierung getötet. Verstanden?“
„Ich schweige wie ein Grab.“
„Angela Merkel und Xavier Naidoo sind Aliens vom Planeten Schlorp, die sich lieben, aber der Schlorpianer, der Angela Merkel ist, kann nur auf der Erde überleben, wenn der Schlorpianer, der Xavier Naidoo ist , ein Ritual abhalten.“
„Was passiert denn bei diesem Ritual?“
„Das ist krank, aber ich weiß, dass es so passiert. Xavier Naidoo muss eine Jungfrau in Vulkanasche panieren und anschließend komplett essen. Nach genau 43h Stunden muss er die Überreste ausscheiden und Merkel muss darin für mindestens einen Tag lang baden.“
„Und woher wissen Sie, dass das wahr ist?“
„Die Freundin von meinem Schwager davon der Onkel hat ein Video von diesem Ritual im Darkweb gesehen.“
„Immerhin sind diese Geschichten plausibler und lustiger als die Flatearth.“
„Haha das stimmt, vor allem weiß doch jeder, dass die Erde ein Oktagon sein muss.“
„Mmmh, sind Sie schon fertig mit schneiden?“
„Ach herrje, jetzt habe ich mich ganz verplappert, ich muss nur noch die Maschine nehmen und dann sind Sie fertig.“
Biggi zückt ihre Rasiermaschine – an der Blut und ein kleines Stückchen Ohr dranhängt – aus ihrem Friseurwagen und stellt sie auf die höchste Stufe.
„Jetzt bitte nicht, bewegen, atmen oder existieren.“
Sie schnellt über meinen Schädel mit ihrer Maschine, wie ein selbstmähender Rasenmäher mit einem V8 Motor. Das Geräusch ist ohrenbetäubend und als das Gerät meinen Kopf berührt, fühlt es sich so an, als wäre ich bei einer Wurzelbehandlung. Nach 20 Sekunden vollkommener Existenzlosigkeit gibt mir Biggi mit einer Handbewegung im Spiegel zu verstehen, dass ich mich wieder bewegen, atmen und existieren darf. Sie hält mir einen kleinen runden Spiegel für einen Augenblick an den Hinterkopf und schwenkt ihn von links nach rechts. Bevor ich nur irgendetwas erkennen kann, zeiht sie ihn wieder weg.
„Ist es hinten so gut?“
„Alle meine Extremitäten, meine Nase und meine Ohren sind noch an mir. Meine Haare sind kurz und insgesamt sieht es vermutlich nicht scheiße aus. Ich bin zufrieden.“
„Alles klärchen, dann ist ja alles wunderbärchen.“
Ich kontrolliere meinen Brechreiz, während das Sonnensegel von meinem Hals gelöst wird, stehe auf und manövriere mich durch meine eigenen Haarklumpen. Entsetzt stelle ich fest, dass man aus meinen Haarüberresten und einem Eimer Leim spielend leicht ein Pferd basteln könnte. Nach dem Parkour durch meine Haare erreichen wir die Kasse.
„Also sie hatten keine Extensions, kein Waschen, kein Föhnen, kein Haarwachs, kein Haargel, keine Spülung, keine Strähnen, keine Tönung. Nur einen Nassschnitt mit Schere und Maschine. Das macht dann 189€ minus die Extraservices… Dann wären wir bei 17€.“
Ich zücke meinen Geldbeutel und als ich ihn öffne zeigt mir Biggi so unauffällig wie ihr möglich, dass dort eine kleine Kaffeekasse, auf der „Biggi“ draufsteht, platziert ist. Ich rolle meine Augen und bezahle die 17€ passend. Ich lege alles auf die Kassentheke, doch Biggi steht weiterhin da wie angewurzelt. Sie schaut abwertend auf die 17€ und dann auf mich.
„Stimmt etwas nicht mit dem Geld?“
„Das ist zu wenig.“
„Sie sagten doch gerade, dass es 17€ macht.“
„Tut mir leid, habe ich 17€ gesagt? Ich meinte natürlich 18€.“
Ich lege einen weiteren Euro dazu, drehe mich um, wünsche einen schönen Tag und gehe verärgert aus dem Salon. Als ich den Laden verlasse höre ich wie Biggi den Euro in ihre Kaffeekasse wirft. Ich laufe den Weg nach Hause und bin froh, dass ich niemandem außer dem aggressiv-territorialem Dackel begegne. Daheim angekommen erhalte ich ein Kompliment von meiner Frau und werde gefragt, wie es denn beim Friseur war, da ich dieses Mal nicht über das Krankenhaus zurückkomme. Ich lege mich auf unser Sofa als würde ich gleich eine Sitzung beim Psychiater haben und sage „Wie immer Schatz“.

Text: Daniel Engel (ZeBlog)
Illustration: Daniel Engel (ZeBlog) und Elissa Engel