Die Lage ist prekär und vor allem ist sie ernst, denn die Menschen sind nur Tage von ihrer endgültigen Auslöschung entfernt.
Um sie zu erlösen und Frieden zu bringen, entschließt sich der Himmel, Jesus erneut für die Sünden der Menschheit zu opfern. Ohne Widerrede willigt er dem heiligen Rat ein und wird wieder auf die Erde gesandt. Er reinkarniert in vollster Pracht….
»…in einem Löwen.«, brüllte der Löwenpfleger in sein Mobiltelefon.
Der Zoodirektor am anderen Ende der Leitung, bat ihn das erneut und noch lauter zu wiederholen, da es viel zu früh am Morgen für solche Scherze sei.
»Ich sage es Ihnen. Jesus hat gerade aus diesem Löwen mit mir gesprochen und er sagt, dass er in dem Bauch dieses Löwen festsitzt.«, erklärte ihm der Löwenpfleger.
Verdutztes Schweigen aus dem Hörer.
»Steckt Jesus Christus im Bauch des Löwen fest oder hat er Besitz von dem Löwen ergriffen.«, fragte der Zoodirektor skeptisch.
»Warten Sie mal, ich frag ihn schnell. Jesus? Bist du metaphorisch im Bauch dieses Löwens oder physikalisch reinkarniert?«
Der Löwenbauch grummelte heftig, doch der Löwe schlief weiter.
»Er sagt, dass er in Fleisch und Blute im Löwenbauch stecke.«
Interessiertes Schweigen aus dem Hörer.
»Na gut, von welchem Löwen reden wir denn genau?«, fragte der Zoodirektor argwöhnisch.
»Nah Brunni. Sie wissen schon, der Große. Den, den wir extra züchten lassen haben, damit er riesig ist.«
Der Zoodirektor blätterte durch seine Unterlagen.
»Meinen Sie Bruna in Gehege 5?«
»Nein, Herr Direktor. Nicht Bruna, das ist Brunnis Frau, ebenfalls in Gehege 5. Bruna ist die Löwin mit Streifen und nicht sonderlich groß.«, versicherte ihm der Löwenpfleger.
Aus dem Hörer konnte man ein heftiges Seufzen vernehmen, dann wechselte es zu blättern und knistern aus den Unterlagen des Direktors. Ein abrupter Halt, Gemurmel und ein jähzorniger Aufschrei. Der Zoodirektor erblickt den Preis von Bruna der gestreiften Löwin.
Schweigen, das an Ohnmacht grenzt, brüllt aus dem Hörer.
»So viel Geld für ein paar Streifen auf einem Tier? Wer hat das denn genehmigt? Ich verstehe das nicht. Warum haben wir nicht einfach einen weiblichen Tiger ausgestellt?«, schrie der Direktor wutentbrannt, so dass Jesus gezwungener Maßen mithören musste.
»Herr Direktor, Sie haben das genehmigt aufgrund von unserem Consulting-Agent. Wissen Sie nicht mehr, dass er uns gesagt hat, dass man in unserer Gesellschaft heutzutage das Abgefahrenste bieten können muss, damit man nicht im Einheitsbrei der Tierunterhaltung untergeht. Normale Tiere sind langweilig, keiner will mehr Falkenschau oder Schimpansen mit Bällen sehen. Kinder wollen Haie mit Lasergewehren auf ihren Köpfen, hosentaschengroße Elefanten, Lamas die Spucke von anderen Tieren absorbieren können und eben gestreifte Löwinnen mit ihren Selfiesticks fotografieren.«
»Warum haben wir Bruna nicht einfach angemalt gottverdammt nochmal?«, grätschte der Direktor dem Pfleger dazwischen, so dass er bei einem Fußballspiel die rote Karte erhalten hätte.
Es grummelte erneut im Bauch des Löwens.
»Herr Direktor, der Leib Christi möchte nicht, dass Sie fluchen.«
»Ach na gut, es tut mir, in so einer speziellen Situation, leid.«, säuselte er erst sanft durch den Hörer und toste dann weiter »Da sind ja vier Nullen und nicht drei. Gottverdammte Scheiße Himmel, Arsch und Zwirn, warum hat dieses Drecksvieh wegen ein paar Streifen so viel gekostet?«
»Ich bin
zwar kein Genetiker, jedoch vermute ich mal, dass die Hox-Gene ausfindig zu
machen, die Gradienten perfekt zu beeinflussen, speziell auf der Pigmentebene
zu mutieren und anschließend einen funktionsfähigen Organismus zu erzeugen schon
keine leichte Aufgabe darstellt. Zusätzlich kommen viele Richtlinien, ethische
Konventionen und Naturschutzgesetze hinzu, die clever und souverän umgangen
werden mussten. Ich denke ein fünfstelliger Betrag ist für einen Löwen mit Streifen
angemessen aber….
Warten Sie mal kurz, Jesus möchte nochmal etwas von mir.«
Der Pfleger ging mit seinem rechten Ohr an den Löwenbauch, hörte, was Jesus zu sagen hatte, und behielt das Telefon mit dem Direktor am linken Ohr.
»Herr Direktor? Jesus sagt, dass Sie nicht fluchen sollen. Er findet das ganz und gar nicht gut.«, versuchte der Löwenpfleger zu vermitteln.
»Jaja. Der hat gut reden, der sitzt sicher und wohlbehütet, ohne Profilneurosen und überteuerter Löwin, in einem Löwenbauch. Da könnte ich auch solche Sprüche klopfen.«
»Aber Herr Direktor, ich meine: Es ist nach wie vor DER „Jesus“. Er hat sich für uns damals alle geopfert. Wir haben ihm gegenüber etwas Respekt vorzuweisen.«
Der Direktor schweife mit dem Blick seinen Schreibtisch entlang und stoppte bei einem Bild seiner verstorbenen Frau. Seine Augen wurden glasig.
» Respekt. Dass ich nicht lache. Sehen Sie, was das unserer Welt gebracht hat. Unzählige Kriege, mehrere Jahrhunderte fanatische Phrasenschwinger und eine extrem schlechte Punkband. Herr Christus, falls Sie mich hören können, dann möchte ich, dass Sie wissen, dass Ihre Aufopferung für’n Arsch war. Sie haben kein Recht irgendetwas zu verlangen, nur weil Sie jetzt plötzlich hier auftauchen. Über 2000 Jahre hat sich niemand um uns geschärt. Schauen Sie sich doch an, wo wir gelandet sind. Ich habe Tiere in meinem Zoo, die profaner nicht sein könnten. Mutierte Löwen, gekreuzte Missgestalten wie der Schnackler oder das Flusspferdchen und verzüchtete Rassen wie Minielefanten. Sehen Sie nicht, dass es dieses Mal zu spät ist? Die Anzahl von Atheisten und Agnostiker steigt täglich an. Keinen wird es interessieren, dass Jesus wieder da ist. Höchstens ein paar machthungrige Irre, die diese Geschichte mit dem Löwen nachstellen werden. Ihre Aufopferung würde nur noch mehr Chaos in diese missratene Welt bringen. Oder wollen Sie wirklich, dass Menschen, die lachend ein Neugeborenes zu Tode getreten haben, reingewaschen werden? Wenn wir nach dem Angesicht Gottes geschaffen worden sind und du sein Sohn bist, wie kannst du dann solchen Menschen verzeihen? Wie kannst du Menschen lieben, die anderen das Gute aus ihrem Leben rauben?«
Schweigen, dann grummeln aus dem Löwenbauch.
»Herr Direktor, Jesus meint, dass Sie sich selbst in Ihrer Wut projizieren und dass Sie vielleicht einen kleinen Spaziergang machen sollten, damit sie etwas runterkommen. Außerdem will er Ihnen mitteilen, dass er erneut aus diesem Grund gekommen ist, um die Menschen zu erlösen, weil letztes Mal wohl irgendetwas in der Prozedur schiefgegangen sein muss. Bürokratie im Himmel ist anscheinend noch schlimmer als hier auf der Erde. Das ist auch der Grund, warum er jetzt nicht zurückgeholt werden kann. Das Formular braucht mindestens drei Tage, bis man wiederbelebt, abgeholt oder auf die Erde gesandt werden kann.«
Schweigen.
»Verdammt noch mal. Holen Sie diesen Möchtegern-Märtyrer endlich aus dem Löwen. Ich will antworten.«, befahl der Zoodirektor genervt.
»Das geht nicht.«, erwiderte der Löwenpfleger.
»Wieso sollte das nicht gehen? Ich habe Ihnen soeben den Befehl erteilt.«
»Nun ja Herr Direktor, Jesus Rettung zu befehlen mag ja ganz einfach sein, aber es gibt da mehrere Faktoren.
1. Schläft Brunni gerade und nur deshalb können wir mit Jesus so einfach interagieren.
2. Brauchen wir einen Raubkatzenanästhesisten, um Brunni zu sedieren und ihm den Bauch aufzuschneiden.
3. Müssen wir einen Tierarzt holen, falls Brunni etwas passiert.«
»Moment, drittens ist gestrichen. Falls etwas passiert, kann Jesus Brunni wieder heilen.«
Ein wohlwollendes Grummeln aus dem Löwenbauch.
»Jesus sagt, dass er nicht möchte, dass jemand verletzt wird.«, erklärte der Löwenpfleger.
»Warum zur Hölle ist Jesus dann hier, wenn er weder meine Fragen beantworten noch etwas anderes Sinnvolles erledigen kann?«, schrie es in das rechte Ohr des Löwenpflegers.
Der Magen des Löwen begann nun zu beben.
»Ich der Leib Christi, Gottes Sohn, Jesus von Nazareth werde euch nun eure Fragen beantworten. Jeden Tag beten Millionen von Menschen mich an. Jeden Tag höre ich unendlich viele Lügen, die mir gelten und mich in Versuchung bringen. Ich erhöre sie nicht, ich akzeptiere sie, denn ich habe in der Wüste verstanden, dass ihr und mein Vater fehlerhaft seid. Ihr fragt mich wie ich jemandem verzeihen kann, der hunderte von Menschen mit einem Knopfdruck hingerichtet hat oder Kinder abgeschlachtet hat? Das kann ich nicht, aber meine Opferung hat euch erneut die Freiheit geschenkt. Ihr Menschen habt die Chance bekommen euch zu bessern, euch wurde die Gabe gegeben von vorne zu beginnen und auch wenn manche den falschen Weg bestreiten, so wisst ihr immer noch, was richtig und falsch ist. Atheist, Agnostiker oder Heide ihr habt die Freiheit zu wählen.«
Der Magen des Löwens begann sich zu beruhigen und Brunni wurde wach. Der Löwenpfleger sprang auf und rannte zum Gehegeausgang, wobei das Mobiltelefon im Dreck des Gehege Nummer 5 zurückblieb.
»Jesus, du hast absolut kein Recht uns erneut zu quälen. Die Menschheit, siehst du nicht, dass sie der Erde nicht guttut. Sie stirbt, die Natur wird sich wehren und wir sind schuld. Das alles wird sich wiederholen. Hörst du Jesus, deine Taten sind umsonst gewesen und werden es auch immer sein.«
Der Löwe, der nun zusätzlich einen Jesus mehr wog, richtete sich schwerlich auf, wankte dabei und zertrat durch sein enormes Gewicht das Mobiltelefon mit seinen gewaltigen Tatzen. Als der Zoodirektor bemerkte, dass die Verbindung unterbrochen wurde, sprang er ebenso auf und rannte aus seinem Büro.
»Du mein Tier, hast deinen Teil erfüllt. Ich danke dir und verspreche dir, dass du nicht mehr leiden wirst.«, versicherte Jesus dem Löwen.
Brunni merkte, dass etwas in ihm lebte, doch durch die beruhigenden Worte, war es ihm egal. Er stolzierte gerade zum Wasser, als die beruhigenden Worte nicht mehr ausreichten. Etwas brannte an seiner Seite und brüllte vor Schmerz. Er drehte sich rasch um und neben ihm stand Jesus, der seine verursachte Wunde nun heilte. Brunni erkannte die Hilfe und ließ es zu.
»Du bist nun frei. Geh zu Bruna und mehret euch!«, befahl Jesus herzlich.
Im selben Moment kam der Zoodirektor in das Gehege und zielte mit einem Gewehr auf Jesus.
Weil der Zoodirektor an ihm vorbeirauschte, spickelte der Löwenpfleger nun auch wieder in das Gehege und konnte seinen Augen nicht trauen. Ein splitterfasernackter junger Mann stand mitten im Gehege Nummer 5 und der Zoodirektor richtete eine Waffe auf ihn.
»Verdammt nochmal Jesus, verstehe doch, dass das alles nichts mehr bringt.«, flehte ihn der Zoodirektor an.
»Da bin ich anderer Meinung.«, ließ sich der Löwenpfleger hinter der Gittertür vernehmen.
»Sehen Sie Herr Direktor, ihre Meinung zählt nicht allein, auch Sie werden gerade erprobt und bitte hören Sie endlich auf zu fluchen!«
»Ich bin aber der Großzoodirektor und ich sehe welche Abnormitäten hier ausgestellt und gesehen werden wollen. Die Menschheit hatte ihre Chance, sie brauch einen der sie führt und nicht jemand der sie alles machen lässt. Ich werde dir die Schuld an jedem weiteren Toten hier auf der Erde geben und für jede weitere abscheuliche Tat werde ich dich immer mehr hassen. Ich werde jeden der dich ehrt jagen und seine Blutlinie ausmerzen. Geh einfach fort und komm nie wieder!«
Der Löwenpfleger bekam Angst und schlich sich hinter den Zoodirektor.
»Ich habe dich gewarnt.«, wiederholte der Zoodirektor.
Er drehte sich um, schoss dem Löwenpfleger in die Brust und zielte dann sofort wieder auf Jesus.
»Dieser Tote ist deine Schuld.«, schrie der Zoodirektor.
Aufgebracht von dem Schuss eilte Bruna herbei. Sie sah den toten Pfleger und ging in Angriffsstellung. Doch der Zoodirektor sah die Löwin aus seinem Augenwinkel, reagierte blitzschnell und streckte auch die Löwin nieder.
» Siehst du? Ein weiterer Tod, den du bewirkt hast. Scheiß teures Streifenvieh.«
Jesus weinte bitterlich, denn er wusste was passieren würde. Brunni kam nun wie ein Monster aus dem Dickicht gewalzt und gesellte sich zu Bruna, die blutend am Boden lag.
»Sieh genau her, zu was wir Menschen fähig sind!«, befahl der Zoodirektor Jesus.
Er schoss drei Mal auf Brunni und seine vorletzte Kugel erneut in Bruna.
»Nur um sicher zu gehen.«, lachte der Zoodirektor dreckig.
Jesus wollte alles ungeschehen machen, seine eigenen Kräfte nutzen, um seine Schuld zu begleichen. Er ertrug es einfach nicht mehr. Er hob seine Hände und wollte den Pfleger und die Löwen wiederbeleben, doch er hielt kurz inne. Vor seinen Augen begann ein herbstgoldener Apfelbaum in mitten eines Sees zu brennen. Er schreckte auf und senkte seine Hände wieder.
»Ich verzeihe dir und liebe dich.«, teilte Jesus dem Zoodirektor mit.
Voller Zorn drückte der Zoodirektor ab und seine letzte Kugel durchbohrte Jesus Herz. Er war auf der Stelle tot.
Erneut starb er für die Sünden der Menschen und gab sich nicht der Versuchung hin. Alle Menschen spürten eine unglaubliche Macht von Liebe durch sie hindurch strömen, wussten aber nicht warum.
Drei Tage nach diesem Gefühl der Liebe, saß ein Mann mit einer Wunde am Brustkorb in einer Bar und trank ein Glas Wein. Er genoss die Sonnenstrahlen, die durch das etwas abgedunkelte Fenster auf sein Gesicht schienen und naschte Gebäck aus einem kleinen Brotkorb. Wenn ihm die Sonnenstrahlen zu warm wurden, drehte er sich weg und widmete sich seiner Zeitung. Vor ihm lag eine aufgeschlagene Seite mit folgenden Artikeln: „Erdmännchen-Pflegerin schlägt Affen-Pflegerin wegen Lama-Pfleger.“, „Zoodirektor lässt Denkmal für gigantischen Löwen bauen.“, „Löwenpärchen „Brunni und Bruna“ erwarten Nachwuchs lässt Löwenpfleger verkünden“. Der Mann drehte nun seinen Kopf zurück gen Sonnenstrahlen. Er lächelte und trank einen großen Schluck Wein.